Soziale Erhaltungssatzung fĂŒr den Erhalt bezahlbaren Wohnraums

In der Sitzung des Gemeinderats am Dienstag, dem 27. November 2018, stand auch das wichtige Thema Soziale Erhaltungssatzung (Drucksache G-18/146) auf der Tagesordnung. Dazu hat Stadtrat und Fraktionsvorsitzender Dr. Wolf-Dieter Winkler (FL) fĂŒr die Fraktionsgemeinschaft Freiburg Lebenswert / FĂŒr Freiburg (FL/FF) folgende Rede gehalten:

Sehr geehrter Herr OberbĂŒrgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir begrĂŒĂŸen das Vorhaben der Verwaltung, durch eine stĂ€dtebauliche Detailuntersuchung im StĂŒhlinger vertiefte Erkenntnisse zu eventuellen VerdrĂ€ngungsmaßnahmen zu gewinnen.

Stadtrat Dr. Wolf-Dieter Winkler (FL)

Auch zu dem Sanierungsvorhaben der HochhĂ€user in Landwasser kann ich mich recht kurz fassen. Wir haben den interfraktionellen Antrag zur PrĂŒfung der Anwendungsvoraussetzungen fĂŒr eine soziale Erhaltungssatzung nicht mitgezeichnet, weil schon vorab erkennbar war, dass die Voraussetzungen nicht erfĂŒllt sind. Es geht der Deutsche Invest Immobilien erkennbar nur um eine behutsame Sanierung, um den Werterhalt der GebĂ€ude. Das darf und soll auch nicht verhindert werden. Von „Luxussanierungen“ kann keine Rede sein. Die beabsichtigten Mieterhöhungen sind im Rahmen. Der dortige BĂŒrgerverein ist im GesprĂ€ch mit den EigentĂŒmern und unterstĂŒtzt die Maßnahmen. Er stellt zu Recht fest, dass der Gentrifizierungs-Prozess in Landwasser mit umgekehrten Vorzeichen verlĂ€uft. Seine rhetorische Frage: Wie sonst konnte der Anteil der Bewohner mit Migrations-Hintergrund in Landwasser auf fast 50 % ansteigen? Kurzum, unsere Fraktion unterstĂŒtzt die Sanierungsmaßnahmen der Deutsche Invest Immobilien ebenfalls.

Ganz anders verhĂ€lt es sich mit den GebĂ€uden in der Wiehre. Aufgrund der BeschlĂŒsse des 68. Deutschen Kirchentages 1929 in Freiburg, die schlechte Wohnraumversorgung der Bevölkerung, vor allem kinder-reicher Familien, zu beheben, wurde 1930 die Genossenschaft „Familienheim“ gegrĂŒndet. Laut Satzung war das Ziel, ich zitiere: „Minderbemittelten gesunde und zweckmĂ€ĂŸig eingerichtete Kleinwohnungen zu billigen Preisen zu verschaffen“.

Noch im GeschĂ€ftsbericht 2014 stellt die Familienheim fest: „Die wachsende Wohnungsnachfrage war auch im GeschĂ€ftsjahr 2014 deutlich feststellbar, wodurch die angespannte Wohnungsmarkt-situation zum Ausdruck kommt. Es besteht ein unverĂ€nderter Trend zu kleineren Wohneinheiten, da immer mehr Haushalte Schwierigkeiten haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. FĂŒr viele unserer Mitglieder ist aufgrund ihrer Einkommenssituation die Bezahlbarkeit der Wohnungen vorrangig.“

Dem ist nichts hinzuzufĂŒgen. Danach mĂŒsste die Genossenschaft eigentlich alles tun, um die mietpreisgĂŒnstigen WohnhĂ€user in der Wiehre mit ihren Kleinwohnungen zu erhalten. Doch weit gefehlt.

Stattdessen wird die Vorstandsvorsitzende Dziolloß mit folgenden Aussagen zitiert: „Die eigene Wohnung ist ein StĂŒck Heimat und ihr Abriss wĂ€re ein Affront, der Mieter auf die Barrikaden treibt – das hat die Familienheim schon im Voraus gewusst. Und dennoch ist es der richtige Weg, davon ist die Genossenschaft ĂŒberzeugt.“ Da muss man sich ja mal fragen: Wen meint sie eigentlich mit „die Genossenschaft“? Etwa die „MitgliederInnen“? Kein Scherz: Auf der Familienheim- Homepage steht tatsĂ€chlich „MitgliederInnen“! Die Vorsitzende weiter, denn: „Ein Neubau ist zukunftsfĂ€hig, ein Altbau nicht.“ Nur nebenbei, ich selbst wohne in einem zukunftsfĂ€higen Altbau aus dem Jahr 1810! Und sie schlussfolgert: „Sicherlich werden sich nicht alle Mieter den Neubau leisten können“.

Die Familienheim-Siedlung in der QuĂ€kerstraße (Bild: 2018 Google Kartendaten, 2018 GeoBasis DE/BKG 2009)

Weiter stellt sie zum Jahresbeginn 2018 fest: „Sicher sei bisher, dass das GebĂ€ude QuĂ€kerstraße 1-9 nicht sanierungsfĂ€hig sei. Die Mauern wĂŒrden nicht mal ein WĂ€rmedĂ€mmverbundsystem tragen, geschweige denn ein schwereres, gedĂ€mmtes Dach.“ Die Initiative „Wiehre fĂŒr alle“ hat im Januar 2018 selbst ein Gutachten zur Sanierbarkeit der HĂ€userzeile QuĂ€kerstr. 1-9 inklusive entsprechen-der KostenschĂ€tzung in Auftrag gegeben. Die zentralen Ergebnisse der Untersuchung lauten in Kurzform: Die GebĂ€ude sind  intakt und lassen sich mit relativ geringem finanziellen Aufwand sanieren.

Aber der Clou kommt noch: Üblicherweise entschließt man sich ja fĂŒr eine DĂ€mmung oder gar Abriss dann, wenn die Heizkosten hoch sind. Aber laut Vorlage und auch laut Aussagen von Mietern mir gegenĂŒber sind die Heizkosten extrem gering, was auf eine sehr gute WĂ€rme-dĂ€mmung der AußenwĂ€nde und der Fenster hindeutet. Also, warum um alles in der Welt will der Vorstand diese HĂ€user mit den preisgĂŒnstigen Wohnungen platt machen? Vor allem, weil das Quartier nach Aussage des Gestaltungsbeirates ein ideales VerhĂ€ltnis von Wohn- und grĂŒnen FreiflĂ€chen aufweist. Die angebliche Familienheim-Philosophie – laut Homepage – Mensch und Umwelt mit einzubeziehen, Ressourcen zu sparen und die Umwelt zu schonen, wird mit Abriss und Neubau gut gedĂ€mmter HĂ€user doch konterkariert. Die Menschen werden eben gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen vertrieben, graue Energie und Ressourcen verschwendet!

Offensichtlich schreckt die Vorstandsvorsitzende auch vor Falschaus-sagen nicht zurĂŒck, um ihre unverstĂ€ndliche Abrisspolitik durchzudrĂŒcken. Angesichts dessen sind wohl auch frĂŒhere Behauptungen von ihr zu anderen Bauvorhaben wie z.B., dass das GebĂ€ude Ecke Komturstraße / Rennweg wegen lockeren Untergrundes nicht mehr standfest gewesen sei, in einem anderen Licht zu sehen. Das ebenfalls auf diesem GrundstĂŒck stehende Pfarrhaus St. Konrad (Rennweg 47) zeigt jedenfalls bis heute offensichtlich keinerlei SetzungsschĂ€den.

Von dem ursprĂŒnglichen Ziel „bezahlbarer Wohnraum fĂŒr Minder-bemittelte“ hat sich der jetzige Vorstand offensichtlich völlig verabschiedet. Zum Abriss des Studentinnenheims St. Luitgard und des Bruder-Klaus-Heims fĂŒr Seniorinnen und anschließendem Neubau von mehreren GebĂ€uden wird die Vorstandsvorsitzende Dziolloß mit den Worten zitiert: „Wir erschließen mit diesen hochwertigen GebĂ€uden auch neue Mitgliederkreise“. In der Tat wurden nach Recherchen von „Wiehre fĂŒr alle“ beispielsweise sieben der acht Mietparteien in der Grillparzerstraße 5 erst mit dem Einzug in den Neubau zu Genossenschaftsmitgliedern. FĂŒr Alt-Mitglieder, die teils seit vielen Jahren auf der Warteliste standen, waren die geforderten Mietpreise nicht bezahlbar. Dieser Fall ist exemplarisch fĂŒr die fĂŒnf Neubauten im Areal, deren Mietpreise zwischen 11 und 13,50 € pro Quadratmeter liegen.

Die Neuerrichtung fĂŒhrte zu einer Verteuerung um ca. 150 %. Laut Badischer Zeitung wurde in großem Stil bezahlbarer Wohnraum durch „Edelwohnungen“ ersetzt. Mit diesen Erfahrungen von der Straßenseite gegenĂŒber ist es mehr als verstĂ€ndlich, dass eine Reihe der meist finanzschwachen Mieter der QuĂ€kerstraße 1 – 9 schlaflose NĂ€chte und ZukunftsĂ€ngste haben. Auf dem Areal der ehemaligen beiden Wohnheime leben heute andere und weniger Personen als vor der Neubaumaßnahme. Die Bewohnerschaft wurde komplett gegen eine zahlungskrĂ€ftigere Klientel ausgetauscht, was von Seiten des Vorstands, wie eben zitiert, bereits bei Beginn der Baumaßnahme als strategische Zielsetzung angekĂŒndigt wurde. Gentrifizierung, also der Austausch zahlungsschwacher Genossen durch zahlungskrĂ€ftigere Klientel, ist also nicht nur ein bedauerlicher Kollateralschaden der Neubebauung, sondern erklĂ€rtes Ziel des Genossenschaftsvorstandes.

Das ist eine Ungeheuerlichkeit!

Innenhof eines der GebÀudekomplexe im Klinikviertel die bereits abgerissen und durch teure Neubauten ersetzt worden sind (Foto: N. Armbruster)

Wir versuchen fraktionsĂŒbergreifend – mit bisher mĂ€ĂŸigem Erfolg – alles zu unternehmen, um der Gentrifizierung Einhalt zu gebieten, und hier torpediert eine Genossenschaft diese BemĂŒhungen mit einer Hartherzigkeit gegenĂŒber ihren Mitgliedern, die ihresgleichen sucht! Die Aussage in der Vorlage, dass die Genossenschaften bemĂŒht sind, bei Sanierungsmaßnahmen oder Abbruch und Neubau sozialvertrĂ€gliche Lösungen fĂŒr die Mieter zu finden, können wir im Fall der Familienheim ĂŒberhaupt nicht nachvollziehen!

Meine Damen und Herren, die FĂŒhrungspersönlichkeit einer dem sozialen Gedanken verpflichteten Genossenschaft vertritt keine AktionĂ€re, sondern die Genossenschaftsmitglieder und muss folglich konsequent und engagiert in deren Interesse handeln. Die skandalösen Äußerungen und das Handeln entgegen der eigentlichen Aufgabe der GeschĂ€ftsfĂŒhrung einer Wohnbaugenossenschaft offenbaren eine Einstellung, die sich weder mit den Statuten der Genossenschaft noch mit den Anliegen der Bewohner vereinbaren lĂ€sst. Bei dieser Haltung sollte man so ehrlich sein und sich eine Stelle bei einem privaten BautrĂ€ger suchen.

Wir hatten unseren fĂŒr die letzte Gemeinderatssitzung gestellten Antrag, fĂŒr dieses Quartier eine bauliche Erhaltungssatzung aufzustellen, zurĂŒckgezogen. Grund war, dass GesprĂ€che zwischen Stadtverwaltung und Familienheim abgewartet werden sollten. Und wir hatten auch gehofft, dass bereits mit einer Milieuschutzsatzung der Erhalt der GebĂ€ude QuĂ€kerstraße 1-9 gewĂ€hrleistet sein wĂŒrde. Die Ă€ußerst schwammigen Aussagen in der Drucksache lassen aber den Schluss zu, dass als Ergebnis der GesprĂ€che der Milieuschutz durchaus auch mit einem Abriss der GebĂ€ude erreicht werden könne. Diese EinschĂ€tzung teilen wir nach den bisherigen Erfahrungen mit der Familienheim auf gar keinen Fall. Wir stimmen der Vorlage zu. Aber, sollten die GesprĂ€che mit der Familienheim zu keiner fĂŒr die Bewohner und uns befriedigenden Lösung fĂŒhren, werden wir erneut den Antrag fĂŒr eine Erhaltungs- und Gestaltungssatzung stellen. Einem Abriss der GebĂ€ude werden wir auf keinen Fall zustimmen!

Unser Appell an alle drei Freiburger Genossenschaften Familienheim, Bauverein und Heimbau: Engagieren Sie sich bei den neuen WohnbauflĂ€chen und erhalten Sie die BestandsgebĂ€ude mit ihren gĂŒnstigen Mieten fĂŒr Ihre Genossen!

FL-Plakat aus dem Jahr 2014 (mit „Modernisierung“ ist hier eine umfassende, luxuröse und teuere Grunderneuerung gemeint.)