Kein Urwald am Drachenweg?

Artenschutz contra Anwohnerinteressen

Um die BiodiversitĂ€t zu fördern, verzichtet die Freiburger Stadtbau in einem Pilotprojekt am Drachenweg darauf, regelmĂ€ĂŸig zu mĂ€hen. Die Bewohner sind allerdings nicht begeistert. Viele halten die Maßnahme fĂŒr eine Zumutung und sorgen sich ĂŒber Zeckenbisse, StechmĂŒcken oder Ameisen in der Wohnung.

„Wir wollen nicht im Dschungel wohnen“, so ein Bewohner. Besonders der Zugang zu Sitzgelegenheiten und WĂ€scheleinen sei nahezu unmöglich. Nach einer Beschwerde wurden die genannten ZugĂ€nge umgehend von der Stadtbau gemĂ€ht. Vor dem Haus einer anderen Bewohnerin wurde nach deren Beschwerde ebenfalls gemĂ€ht. Schließlich sei die Anlage auch ein Park und eben keine ExperimentierflĂ€che. Auch in den Augen weiterer Bewohner gleiche die Anlage einem Urwald.

Freiburg Lebenswert unterstĂŒtzt grundsĂ€tzlich das Vorgehen der Freiburger Stadtbau. Dies bedeutet aber auch, dass von Anfang an die Sorgen der Anwohner gehört werden mĂŒssen. SelbstverstĂ€ndlich sollen gerade in einer Seniorenanlage die ZugĂ€nge erleichtert werden. Auch ist die Gefahr von Zeckenbissen in hohem Gras nicht ganz von der Hand zu weisen. Dem kann durch MĂ€hen in einem gewissen Bereich um höher frequentierte Areale begegnet werden. Auch kann direkt vor den Fenstern gemĂ€ht werden, um das Eindringen diverser Insekten wenigstens etwas kleiner zu halten (ganz vermeiden lĂ€sst es sich ohnehin nicht).

Auf der anderen Seite sollten auch betroffene Anwohner derartigen Änderungen aufgeschlossen begegnen, insbesondere wenn der Stein des Anstoßes nur darin besteht, dass der Garten nicht so ordentlich gepflegt aussieht. Was die Gartengestaltung betrifft, braucht es eine neue Ästhetik, d. h. weg von allzu gepflegten und ordentlichen GĂ€rten, welche letztendlich ökologisch wertlos sind. Das Artensterben hat inzwischen dramatische Ausmaße angenommen. So hat Deutschland allein in den letzten 25 Jahren mehr als 70 % seiner Biomasse an Insekten verloren. Dabei gehen nicht nur lĂ€stige Plagegeister verloren, es geht um nicht mehr und nicht weniger als den Erhalt unserer Lebensgrundlage. Wir brauchen Insekten fĂŒr die BestĂ€ubung von Pflanzen und damit fĂŒr die Sicherstellung unserer Nahrungsmittel. Insekten stehen zudem am Anfang der Nahrungskette. Wo keine Insekten, finden Vögel oder FledermĂ€use keine Nahrung und sind damit ebenfalls im Bestand gefĂ€hrdet. UngemĂ€hte Wiesen dienen somit diversen Tierarten als Lebensgrundlage und Nahrungsquelle. Ein wenig „Urwald“ sollte man also ruhig zulassen. Und auch optisch kann eine blĂŒhende Wiese ja eine Augenweide sein.

Weg vom Artensterben, hin zur Wiederherstellung der Natur, das sollte generell die Marschrichtung fĂŒr die Zukunft sein. Die Stadtbau hat den richtigen Weg eingeschlagen. Ein Naturgarten bedeutet jedoch nicht alles oder nichts. SelbstverstĂ€ndlich dĂŒrfen GĂ€rten und Parkanlagen benutzbar bleiben. SelbstverstĂ€ndlich mĂŒssen Garten- und Parkanlagen nicht völlig verwildern. Es geht vielmehr um ein generelles Umdenken in Richtung „mehr Natur wagen“.

Ein solcher Garten steht so manchem Ordnungssinn entgegen – fĂŒr die Natur allerdings besser

Pressemitteilung FL vom 6.7.2023, Fotos: K. U. MĂŒller