Am 27. April 2021 hat Stadtrat Dr. Wolf-Dieter Winkler (FL) im Freiburger Gemeinderat im Rahmen der zweiten Sitzung zum Gemeindehaushalt 2021/22 folgende Rede gehalten.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren!
Ich will es vorwegnehmen: Ich halte die Priorisierung der Kürzungen, wie sie die Stadtverwaltung vorsieht, für völlig falsch. Die städtische Verwaltung und der Gemeinderat sind dem Wohl der Bürger verpflichtet. Sie haben die Wünsche ihrer Bürgerschaft wahrzunehmen und, wenn es die finanziellen Spielräume zulassen, umzusetzen. Ich will ein paar Beispiele nennen, bei denen sich die Interessen der Bürgerschaft und die Kürzungsvorschläge der Verwaltung diametral gegenüberstehen.
Die Freiburger Elternschaft wünscht sich für ihre Kinder Schulen in gutem baulichem Zustand und eine sofortige Sanierung maroder Schulen wie beispielsweise der Max-Weber-Schule. Und sie wünscht sich eine gute Schulkindbetreuung und unterstützende Schulsozialarbeit. In diesen Bereichen soll aber gekürzt oder zumindest zeitlich geschoben werden. Man hat in der gesamten Freiburger Bürgerschaft auch kein Verständnis für leerstehende Schulräume. Es ist doch anachronistisch, dass man in absehbarer Zeit das Berthold-Gymnasium erweitern will, aber die vorhandenen Räumlichkeiten im nur wenige hundert Meter entfernten Lycée Turenne seit 28 Jahren leer stehen lässt. Das ist doch niemandem mehr vernünftig zu erklären.
Im ohnehin unterbezahlten Sozial- und Erziehungsbereich erwarten die Beschäftigten die Weitergabe von Tariferhöhungen. Es ist absurd, dass die Erhöhung der Tariflöhne durch die Einsparung von Personalstellen aufgefangen werden soll, was man zum Beispiel dadurch ermöglichen will, dass die einzelne Erzieherin mehr Zeit für die Arbeit am Kind bekommen soll. Und erreicht werden soll dies wiederum dadurch, dass man die administrative Arbeit der Erzieherinnen von 20 auf 18 Prozent kürzt. Angesichts des zunehmend hohen Dokumentationsaufwandes für die Entwicklung der Kitakinder, die auch von den Eltern erwartet wird, ist diese Zeit zum Erstellen von Kinder-Portfolios, aber auch die Vor- und Nachbereitungszeit für kindliche Angebote für die Erzieherinnen enorm wichtig und ohnehin schon knapp bemessen. [Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Freiburger Förderrichtlinien, die vom Gemeinderat beschlossen wurden.]
So ist weiterhin großer Konsens in der Stadt, dass der Freiburger Westen – vor allem angesichts des geplanten und zu erwartenden Bevölkerungszuwachses -das seit vielen Jahren versprochene Außenbecken des Westbades braucht, wie jetzt gerade in Corona-Zeiten eindringlich vor Augen geführt wird.
Und viele Freiburger wünschen sich eine neue Eishalle. Die jetzige Franz-Siegel-Halle ist marode und eine CO2-Schleuder. Sie muss endlich – wie ebenfalls seit Jahren versprochen – durch eine neue klimaneutrale Eishalle ersetzt werden. Neben der Nutzung durch die EHC-Profis und diverser Eissportvereine zieht allein der Publikumslauf jährlich 70.000 junge und junggebliebene Menschen an. Damit ist die Eishalle neben den Schwimmbädern die zweitwichtigste Sport- und Freizeit-Institution in Freiburg. Aber sowohl das Außenbecken des Westbades, als auch die Eishalle wurden wieder in eine ferne Zukunft verschoben.
Aber die Bürgerschaft wird nicht nur durch konsequentes Ignorieren ihrer berechtigten Wünsche vor den Kopf gestoßen. Nein, um den Wohnbau voran zu treiben, scheut man sich auch nicht, die Lebensqualität von Bewohnern ganzer Stadtquartiere zusätzlich massiv zu beeinträchtigen. Beispiel Metzgergrün. Eine grüne und soziale Oase in Freiburg, die man, wenn sie nicht schon vorhanden wäre, erfinden müsste. Auch dieses Gebiet soll einschließlich seiner über lange Zeit gewachsenen sozialen, nachbarschaftlichen und ökologischen Strukturen komplett geopfert werden, um ein paar Wohnungen mehr zu bekommen. Wissen Sie eigentlich, wie vielen Bewohnern mit diesen Abrissorgien und Grünvernichtungen schlaflose Nächte und Alpträume bereitet werden?
Während auf der einen Seite der Freiburger Bürgerschaft massive Verschlechterungen in vielen Bereichen zugemutet werden, wird auf der anderen Seite das Geld mit vollen Händen ausgegeben. So steht keine der heiligen Kühe der Stadt, nämlich Baugebiete wie Dietenbach, Zinklern, Zähringer Höhe auch nur ansatzweise auf dem finanziellen Kürzungsprogramm oder wird zumindest einem Innehalten unterworfen bis sich die finanzielle Lage wieder gebessert hat.
So sollen allein in diesen beiden Haushaltsjahren 65 Mio. € für den geplanten Stadtteil Dietenbach ausgegeben werden, den beim Bürgerentscheid 40 % der Freiburger Bürger ablehnten. Angesichts der nicht eingehaltenen Versprechungen wie der Erhalt von Waldflächen und auch aufgrund der zunehmend kritischeren klimatischen Realitäten wie die letzten drei Dürrejahre dürfte der Anteil der Dietenbachgegner inzwischen deutlich zugenommen haben. Allein mit diesen 65 Mio. € könnte ein Großteil der von mir eben genannten bürgerschaftlichen Wünsche gedeckt werden. Diese einseitige Ausrichtung der Ausgaben hin auf den zerstörerischen Wohnungsbau macht es mir schwer, diesem Haushalt zuzustimmen.
Denn neben dem finanziellen Haushalt der Stadt gibt es einen weiteren Haushalt, der uns sehr viel mehr Sorgen bereiten müsste und das ist unser CO2-Haushalt. Laut europäischem Klimawandeldienst Copernicus war 2020 das wärmste Jahr in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen.
Während wir beim Verkehr inzwischen die Weichen stellen weg vom motorisierten Individualverkehr hin zu einem CO2-freien Verkehr der Zukunft, passiert beim Bauen das genaue Gegenteil. Es wird weiterhin einem krankhaften Wachstum gehuldigt, das seinesgleichen sucht. Selbst wenn wir ökologisch hochwertig bauen, so werden zumindest die Hausfundamente aus Beton sein, in dem als Bindemittel der energieaufwändig hergestellte Zement steckt. Von den zigtausenden LKW-Transporten von Bodenaushub zur Aufschüttung des Dietenbachgeländes ganz zu schweigen. Die CO2-Bilanz Freiburgs wird durch das überdrehte Bauen völlig verhagelt. [Und kommen Sie mir nicht mit der Milchmädchenrechnung vom Baudezernenten, dass wir dafür sorgen, dass sich umliegende Gemeinden weite Transportwege ersparen, wenn wir ihnen den Bodenaushub abnehmen. Erstens sind wir nicht für die CO2-Bilanz anderer Gemeinden verantwortlich und zweitens nehmen wir ihnen nur die Arbeit ab, sich selbst darüber Gedanken machen zu müssen, wie sie den Aushub preis- und CO2-günstig auf ihrer eigenen Gemarkung unterbringen.] Wenn wir also beim Bauen zumindest bremsen, könnten wir nicht nur die dafür eingeplanten enormen finanziellen Mittel im Sinne der Bürgerschaft sinnvoller einsetzen, sondern damit gleichzeitig auch den CO2-Haushalt der Stadt stabilisieren.
Ich will noch einen weiteren Haushalt anführen, den ich als wichtig erachte, und das ist unser Wasserhaushalt. In der Schweiz schlägt man Alarm, dass die Gletscher wegen fehlender Niederschläge massiv schwinden. Das wird unangenehme, wenn nicht gar katastrophale Auswirkungen auch für uns haben. Denn ohne das Schmelzwasser der Gletscher wird es passieren, dass die Wasserpegel selbst großer Ströme wie der des Rheins absinken, wenn diese nicht sogar austrocknen. Ich brauche Ihnen sicher nicht zu schildern, was das für fatale Auswirkungen für die Landwirtschaft, aber auch für die Auewälder wie den Mooswald haben wird. Wir wären dann froh, wenn wir noch Hochwassergebiete wie Dietenbach hätten, die das Wasser wenigstens zum Teil in ihren humosen Schichten zurückhalten können und dadurch die erwartbar negative Veränderung des Wasserhaushaltes der Region zumindest abgemildert würde.
Ich appelliere daher nochmal an Verwaltung und Gemeinderat und werde es immer wieder tun: Schauen Sie nicht nur auf den Finanzhaushalt der Stadt, sondern nehmen Sie den viel kritischeren CO2-Haushalt und damit den Wasserhaushalt Freiburgs in den Blick, die sich letzten Endes auch entscheidend auf den städtischen Finanzhaushalt auswirken werden. Stoppen Sie dieses ungebremste Wohnungs-Wachstum, verlangsamen sie es wenigstens. Lassen Sie uns zumindest auf die Bebauung der artenreichen Zähringer Höhe und von Dietenbach verzichten. Wir Stadträte können die Welt nicht retten, aber wir können wenigstens in unserem bescheidenen Rahmen dafür sorgen, dass wir unseren Nachkommen sagen können, dass wir alles in unserer Macht stehende getan haben, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Ich befürchte sonst, dass es in ein paar Jahren heißt, dass – nach dem autogerechten Umbau der Stadt in den 1960er und 70er Jahren – der expansive Wohnungsbau die zweite große Fehlentscheidung des Freiburger Gemeinderates war.