Für die Fraktionsgemeinschaft Freiburg Lebenswert / Für Freiburg (FL/FF) hat unser Fraktionskollege und Bündnispartner Prof. Dr. Klaus-Dieter Rückauer (von der Wählerliste „Für Freiburg“) am 4. April 2017 im Gemeinderat zum Thema Dietenbach die folgende Rede gehalten. Es handelte sich dabei um die in der Gemeinderat-Sitzung zusammen behandelten Tagesordnungspunkten TOP 4: Neuer Stadtteil Dietenbach (h i e r : Kooperationsmodell Abwendungsvereinbarung, Drucksache G-17/015), TOP 5: Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Dietenbach (h i e r : Einsparungen zur Reduzierung des Defizites, Drucksache G-17/078) sowie um TOP 6: Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Dietenbach (h i e r : Auslobungstext zum städtebaulichen Wettbewerb Dietenbach, Drucksache G-17/022).
Es war die beste und sachlich mit den meisten Argumenten ausgestattete Rede, die zu diesem Thema an diesem Tag gehalten im Gemeinderat wurde. Dennoch ist die Badische Zeitung (BZ) in ihrer Berichterstattung nur mit einem knappen Satz darauf eingegangen, während andere Redebeiträge teilweise breiten Raum einnahmen.
Hier deshalb die Rede von Prof. Rückauer in vollem Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
man kann die Dinge im Leben immer von mindestens zwei Seiten sehen. Viel Wichtiges erschließt sich überhaupt erst dann. Insofern sei es auch unserer Fraktion, die wir als Häretiker der reinen Lehre vom Bauen in Freiburg gesehen werden, gestattet, einige Anmerkungen zum Stadtteil Dietenbach zu machen.
51 % der Flächen des vorgesehenen Geländes befinden sich in Privatbesitz. Die Verhandlungen zur Eigentumsübertragung werden schwierig werden. Es ist ehrenwert, dass die Stadt Enteignungen vermeiden und eine einvernehmliche Lösung suchen will. Alles andere wäre unvertretbar. Völlig klar ist jedoch, dass am Ende ein erheblich höherer Preis für den Erwerb bestehen wird als mit den vorgesehenen 15 Euro pro Quadratmeter.
So erscheint es als ausgesprochen willkommene Lösung, dass wie ein Deus ex machina die Sparkasse als Kooperationspartner in Erscheinung tritt. In der uns und der Öffentlichkeit präsentierten Darstellung sind damit die Probleme vom Tisch: die Bank zahlt deutlich mehr, die Verkäufer sind zufriedengestellt, die Stadt kann ihrer Zielsetzung nachkommen, und die Sparkasse wird die Grundstücke schon irgendwie wieder mit Gewinn veräußern. Nun ist eine Bank ja kein karitativer Verein; sie kann nicht bloß als Vermittler im Interesse der Stadt auftreten, sondern muss Gewinn erwirtschaften. Man braucht nur wenig nachzudenken, um sowohl die Verteuerung als auch die prinzipielle Ungewissheit in diesem Modell zu erkennen.
Selbst wenn die Abwendungsvereinbarung den Prozess juristisch klar regelt, bleiben neben dem Optionsvertrag noch mehrere weitere Unsicherheiten, wie sie auch im Abschnitt 3.4 der Drucksache benannt sind.
Die spätere Vermarktung wird ganz wesentlich vom Einstiegspreis der Investoren abhängen; dasselbe gilt für die Chancen einer Verwirklichung durch Baugruppen und andere Interessenten. Das Grundproblem besteht in der komplexen Abhängigkeit aller Beteiligten von mehreren Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen und weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit mit zuverlässiger Klarheit absehbar sind. Das ist in der Drucksache auch rein sprachlich wiedergegeben (Zitate): „hinreichend sicher prognostizieren können“ – „hinreichend konkret formuliert“ – „sollen … hinreichend kalkulierbar sein“.
Prognosen haben als klares Charakteristikum die Ungewissheit. Deshalb muss allen bewusst bleiben, dass man sich bei dieser Planung auf dünnem Eis bewegt.
Immerhin erkennt die Verwaltung bereits jetzt die Gefahr eines Überbietungswettbewerbs. Allerdings werden, das muss schon heute als sicher gelten, die Grundstückspreise auch ohne diesen in einer unerwünschten Höhe liegen. Damit ist sichergestellt, dass die Spirale der Mietpreise weiter nach oben gedreht wird. Wie verlässlich diese gefährliche Entwicklung eintreten wird, kann man an Vauban und Rieselfeld erkennen, die nach der verträglichen Anfangsphase inzwischen die Mietpreise in die Höhe treiben; und das, obwohl bei beiden wesentlich günstigere Ausgangsvoraussetzungen bestanden.
Die Bedeutung der Kosten- und Finanzierungsübersicht ist gut dargestellt; ihre Inhalte sind indes wenig glaubwürdig. Ursprünglich bestand ein Defizit von 56 Millionen, zusätzlich noch von 98 Millionen, die angeblich der Gesamtstadt zugute kommen (In welcher Weise eigentlich? Und wirklich in vollem Umfang?). Nun wird eine „Überarbeitung“ vorgelegt, durch die das Defizit völlig verschwunden ist. Hier lohnt ein genauer Blick.
Die Einnahmen sollen erhöht werden durch größere vermarktbare Grundstücksflächen (Verlegen der Leitungen): das ist eine richtige Maßnahme. Aber: Einsparungen von sieben Millionen sind spekulativ, die Kosten nicht sicher planbar, da noch zu verhandeln. Hochspannungsleitungen sind grundsätzlich in einem Wohngebiet unzumutbar, verstoßen gegen jede gültige wissenschaftliche Feststellung („großer Abstand“ – von wegen). Dieser gesundheitsschädigende Faktor bliebe in jedem Fall bestehen. Bezüglich der Sanierung der Leitungen besteht die gleiche finanzielle Unsicherheit.
Die Ausgaben werden in der Darstellung gesenkt durch den Kostenteilungsschlüssel (hier fehlen klare Angaben zu diesem Verfahren, es bleibt im Dunkeln) oder durch Verringerung von entwicklungsbedingten Herstellungskosten (auch hier gibt es nur die pauschale Aussage ohne konkrete Daten). Eine Beteiligung des Bundes an den Kosten für den Ausbau der B 31 beruht auf einer puren Annahme: die Hoffnung stirbt zuletzt. Sehr hohe Kosten entstehen für Lärmschutz sowie Maßnahmen gegen Hochwasser; diese spezifischen Mehrkosten sind ausschließlich im Dietenbach-Gebiet erforderlich.
Die Gemeinschaftsschule wird nun kurzerhand nur vierzügig statt wie ursprünglich mit sechs Zügen vorgesehen. Darin kommt ein klares und hemmungsloses Primat der Finanzplanung vor sozialen und pädagogischen Erfordernissen zum Ausdruck. Wo werden eigentlich die anderen SchülerInnen untergebracht? Am Tuniberg wurde gerade eine Schule geschlossen; wird die dann wieder neu eröffnet? Und diese oder eine andere zusätzliche Schule gibt es kostenlos? Deren Kosten müssen, wenn man eine ehrliche Rechnung aufmachen will, in die Ausgaben für die Dietenbach-Schule eingerechnet werden, denn deren Verkleinerung verursacht diese anderen Kosten. Das bedeutet einen Planungsfehler von Beginn an, eine gewollte Verschlechterung; damit liegt Dietenbach unter dem Niveau anderer Stadtteile oder Orte von vergleichbarer Größe. Wo ist da eigentlich Nachhaltigkeit? Auch die Diktion ist bemerkenswert: Da wird auf der Homepage von „über die Stadt zu verteilenden Kapazitäten“ geschrieben; Kapazitäten ist die bürokratische Chiffre für Menschen, SchülerInnen nämlich, die in großer Zahl acht Jahre lang jeden Tag quer durch die Gegend fahren müssen, weil von vornherein gegen den bekannten Bedarf falsch geplant und in dem Stadtteil, den sie bewohnen, keine ausreichende Schule gebaut wird.
In der Drucksache 17/078 findet sich auf S. 5 oben der lapidare Satz: „Der angesetzte Zinssatz wird von bisher 2 % auf 1,8 % abgesenkt“. Das ist eine wunderbare Möglichkeit, Geld zu sparen, so einfach – könnte man das nicht auch mal für den normalen Bürger einführen, der zu seiner Bank geht und dann eben mal zehn Prozent weniger zahlen muss? Mit derart spekulativen Maßnahmen wird hier gerechnet und argumentiert. Gleiches gilt für den Risikozuschlag, der sich mittels einfachem Entscheid von 15 auf 12,5 % absenken lässt. Frage eines Unbedarften: Wofür sind solche finanztechnischen Größen eigentlich da und wofür sind sie gut, wenn man sie in dieser lockeren Form je nach gerade günstigerem Ergebnis verändern kann? Und denkt eigentlich niemand daran, dass das Projekt Dietenbach aufgrund von Einwänden oder anderer Ursachen scheitern könnte?
Das klimaneutrale Energiekonzept wird in den Berechnungen höflich vermieden. Irgendwer muss irgendwann dafür aufkommen – wo stehen diese Zahlen? Um die Klimaziele der Stadt zu erreichen, ist ein PlusEnergiestadtteil notwendig; der ist teuer. Auch daraus können sich bislang unberücksichtigte Mehrkosten ergeben.
Die Reduktion der Quadratmeterpreise im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus führt zu einer höheren Belastung im Gesamtbudget. Diese Kosten gehören bei einer ehrlichen Aufstellung in die Spalte der Ausgaben für Dietenbach, nicht in die der übrigen Stadt. Damit erhöht sich das reale Defizit nochmal. Dies wird in der vorgelegten Neuberechnung verschwiegen.
Durch die beiden letztgenannten Posten steigen zwangsläufig die Preise, die letztlich die Käufer und Mieter zu zahlen haben werden. Wie soll so „Bezahlbarer Wohnraum“ für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen erreicht werden?
In der Gesamtschau zeigt sich dem kritischen Betrachter eindeutig, dass hier sehr viel Wunschdenken im Spiel ist. Der Begriff „Optimierungen“ ist eine euphemistische Verharmlosung der vorhandenen Probleme. Hier wurde die Planung so verändert, bis die Zahlen stimmen, und das innerhalb drei Monaten, nachdem schon seit Langem hauptamtlich und vollzeitig geplant worden war; aber jetzt geht‘s auf einmal. Und so lassen sich die vielfältigen Probleme dieses Projektes auf wundersame Weise allerliebst lösen.
Als Zielgruppen sind definiert: „Bezahlbarer Wohnraum für untere und mittlere Einkommensgruppen“. Ja wunderbar, genau das brauchen wir – bloß wird das im Dietenbach-Gelände nie und nimmer zu verwirklichen sein. Schon die unabweisbaren Eingangsvoraussetzungen machen ein solches Ziel, so wünschenswert es ist, zur völligen Illusion. Es wird zu einer Exklusion genau der Gruppen kommen, an die wir im Besonderen denken müssen.
Als Ziel ist über vielen schönen Photos der Präsentation geschrieben: „Entwicklung eines nachhaltigen, bedarfsgerechten und lebenswerten neuen Stadtteils“ – lebenswert könnte er vielleicht in Teilen werden; bedarfsgerecht wegen seiner Kosten keinesfalls; aber nachhaltig, das wird er wirklich: Die dauerhafte, irreparable Zerstörung einer großen natürlichen Fläche von erheblicher ökologischer Bedeutung; die ökonomische Schädigung zahlreicher landwirtschaftlich tätiger Bürger; das Fehlen der vorgeschriebenen Ausgleichsflächen; eine beträchtliche Reduktion der regionalen Landwirtschaft, d.h. der Möglichkeiten einer Ernährung mit regionalen Produkten, also das krasse Gegenteil vernünftiger Strukturpolitik – ein echtes Markenzeichen der selbsternannten Green City.
Als konstruktive Empfehlungen seien hier nur stichwortartig genannt: Innenentwicklung; Zweckentfremdung-Satzung; Leerstands-Kataster; Ferienwohnungen; höhere Bebauung, wo immer mit der Umgebung verträglich; und eine Menge weiterer Möglichkeiten. Von allen anderen Nachteilen abgesehen, ist Neubau auf der Wiese in jedem Fall zwangsläufig teurer als Innenentwicklung.
Der Stadtteil Dietenbach ist eine katastrophale Fehlentscheidung.