Am 24.07.2018 stand im Gemeinderat (neben dem SC-Stadion) auch der geplante Stadtteil Dietenbach zur Enscheidung an. Wie beim Neubau des Stadions, war Freiburg Lebenswert / Für Freiburg (FL/FF) auch beim geplanten Neubau des Stadtteils in Dietenbach die einzige Fraktion, die gegen diese Entscheidung gestimmt hat. Zum Thema Dietenbach hat FL-Stadtrat und Fraktionsvorsiztender Dr. Wolf-Dieter Winkler folgende Rede gehalten:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
stellen Sie sich vor, Sie sitzen im ausverkauften Konzerthaus und erwarten die musikalischen Darbietungen eines großen Sinfonieorchesters. Dann kommt der Veranstalter und holt eine der Geigerinnen von der Bühne. An ihre Stelle wird ein Zuschauer platziert, der, weil ja ausverkauft ist, keinen Platz mehr im Zuhörerraum gefunden hat. Gut sagen Sie sich, macht ja nichts, es gibt ja noch einige Geigerinnen. Doch dann kommt der Veranstalter wieder und holt noch eine Geigerin vom Podium, um einen weiteren Zuschauer zu platzieren. Und so werden nach und nach Fagottisten, Klarinettisten usw. durch Zuhörer ersetzt. Am Schluss ist nur noch ein Rumpf-Kammerorchester vorhanden.
Genau wie ein solcher Konzertbesucher fühlen sich im Moment viele Freiburger. Ihr Orchester sind die Grün- und landwirtschaftlichen Flächen. Dann kommen Leute von außen und beanspruchen für sich mit Hilfe des Veranstalters den Platz der Orchestermitglieder, also mit Hilfe des Gemeinderates und der Bauverwaltung wichtige Grünflächen, wie beispielsweise Zinklern oder Pferdewiese. Diese Zuzügler sitzen dann direkt an den nun sie umgebenden Grünflächen, im Bild also direkt beim immer kleiner werdenden Orchester. Doch diesen Verlust an Konzertqualität, sprich Verlust an Grünflächen und damit Lebensqualität, sind viele Freiburger nicht mehr gewillt hinzunehmen!
Meine Damen und Herren, das Leben ist eben kein Wunschkonzert! Es ist doch eigentlich selbstverständlich, dass man sich für seine Wünsche gelegentlich hinten anstellen und warten muss. Und dass manchmal Wünsche im Leben auch gar nicht in Erfüllung gehen, wenn, um im Bild zu bleiben, „das Konzert“ ausverkauft ist.
Natürlich gibt es das Recht auf Freizügigkeit, dass ich also überall hinziehen kann, wohin ich will. Voraussetzung ist aber doch, dass dort auch Wohnraum für mich vorhanden ist. Seinen Aufenthaltsort frei wählen zu können, heißt doch nicht im Umkehrschluss, die Gesellschaft müsse alles dafür tun, dass ich das auch kann. Es ist doch nicht hinnehmbar zu sagen, ich will aber dort und dort leben und wenn sich dadurch die Lebensbedingungen für die dort bereits lebenden Menschen massiv verschlechtern bzw. sogar das Aus für Tiere und Pflanzen bedeuten, dann ist mir das „wurscht“. Als Gesellschaft müssen wir allerdings endlich dafür sorgen, dass wir die Lebensbedingungen für die Menschen dort entscheidend verbessern, wo sie bisher wohnen. Das gilt für Länder, aus denen Flüchtlinge kommen, genauso, wie für ländliche Gebiete in Deutschland.
Als ich kurz nach unserer Wahl in den Gemeinderat das „Bauen auf Teufel komm raus“ kritisierte und genau diese Argumentation brachte, führte das zu einem Aufschrei. Tenor: FL will Mauern um Freiburg bauen. Ich bin der Grünen-Stadträtin Federer sehr dankbar, dass sie vor kurzem bei einer gemeinderätlichen Sitzung zur Diskussion stellte, ob man denn durch Anreize immer mehr Menschen nach Freiburg holen muss, dass man doch vielmehr daraufhin wirken müsse, dass die Menschen attraktive Lebensbedingungen dort finden, wo sie momentan noch wohnen. Oha, genau meine damaligen Worte! Und ich bin dem Rest des Gemeinderates sehr dankbar, dass – anders als bei mir vor vier Jahren – keiner ihr gegenüber die Mauer-Vorwürfe wiederholte. Es scheint doch langsam ein Umdenken im Gemeinderat einzusetzen.
Meine Damen und Herren, was wir brauchen, sind preiswerte Wohnungen für mittlere Einkommen, für Freiburger, die keine für sie bezahlbaren Wohnungen finden – und natürlich auch für Leute von außerhalb, die in Freiburg eine Arbeitsstelle gefunden haben. Wir haben in den vier Jahren, seit wir von Freiburg Lebenswert / Für Freiburg im Gemeinderat sitzen, rund 4.000 Wohnungen mit auf den Weg gebracht. 4.000 Wohnungen! Und wie viele davon gingen zu bezahlbaren Preisen an Freiburger Familien? Und es werden in den nächsten Jahren im Stühlinger, in Zähringen Nord, Im Zinklern, Auf der Höhe in Zähringen, um nur ein paar wenige zu nennen, nochmals mehrere tausend Wohnungen realisiert werden. Und was glauben Sie, wie viele davon werden zu bezahlbaren Preisen an Freiburger Familien gehen?
Wir könnten rein theoretisch allen, die in Freiburg eine Wohnung suchen, bei diesen immensen Wohnbauvorhaben eine Wohnung zur Verfügung stellen. Aber fast alle Wohnungen, die in Freiburg gebaut werden, sind für mittlere und untere Einkommen nicht zu bezahlen!
Nun also auch noch Dietenbach! Meine Damen und Herren, glauben Sie allen Ernstes, dass in dem geplanten Stadtteil Dietenbach nun endlich der ersehnte preiswerte Wohnraum entstehen wird? Man braucht wahrlich kein Rechengenie zu sein, um festzustellen zu können, dass Dietenbach durch die Aufschüttung des Geländes um bis zu drei Meter wegen der Hochwassergefahr, die Platzierung eines riesigen Lärmschutzwalls entlang B31a und Besanconallee, die Verlegung von zwei Stromleitungen, einer Gasleitung und eines Funkmastes, die Zahlungen an die Landwirte und die Zahlungen für Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen Rieselfeld als bisher teuersten Stadtteil ablösen wird. Nein, diesen Stadtteil wird sich der normale Freiburger nicht leisten können. Auch er wird in erster Linie durch Zuzügler von außen aufgefüllt werden. Inzwischen scheint das auch bei der Verwaltung angekommen zu sein, was wir von FL/FF schon immer sagen: Wir bauen und deswegen ziehen die Menschen nach Freiburg. Ich zitiere den Schulentwicklungsbericht 2018: „Die Bevölkerungszahl nimmt fortwährend zu und erhält Mitte der 2020er Jahre noch einmal einen Schub aufgrund des neuen Stadtteils Dietenbach.“ Das ist eine entlarvend offene Aussage!
Und wer glaubt, dass Bund und Land den Kommunen mit Förderprogrammen für sozialen Wohnungsbau unter die Arme greifen werden, der sollte mal in Artikel 109 Absatz 3 des Grundgesetzes sehen: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Bekannt auch als Schuldenbremse. Das Verbot der Nettokreditaufnahme der Länder tritt ab dem Jahr 2020 in Kraft. Was glauben Sie wohl, bei was Bund und Länder wohl als erstes sparen werden?
Und wenn Dietenbach wirklich kommt, was bedeutet das für den Dietenbachsee bei Weingarten, für das Naturschutzgebiet Rieselfeld-West, für den Mooswald oder für den Mundenhof? Der Freizeitdruck, der dort jetzt schon hoch ist, wird unerträglich werden für Mensch und Natur!
Meine Damen und Herren, Freiburg ist eine ökologische Vorzeigestadt, und dafür durchaus weltweit bekannt. Es wäre fatal, wenn jetzt von Freiburg das Signal ausginge, dass wir nun unsere ökologischen Prinzipien über den Haufen werfen. Und doch will diese ökologische Vorzeigestadt allen Ernstes den Landwirten, die uns regionale Lebensmittel bereitstellen, ihre Anbauflächen wegnehmen. Und die vielen Investoren und Vermieter, die ihre Wohnungen in der Stadt aus Spekulations- und sonstigen Gründen leer stehen lassen, kommen ungeschoren davon? Was ist denn das für eine absurde Moral? Für die sollte doch der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ gelten, Frau Viethen! (Frau Viethen hatte in ihrer Rede die These vertreten, dass für die Landwirte dieser Grundsatz gelte und sie daher ihre Grundstücke für die Allgemeinheit verkaufen sollten!) Bevor wir die Landwirte enteignen und wertvollen Ackerboden unwiderruflich betonieren, muss doch zunächst erst mal alles unternommen werden, um die vielen Verwerfungen auf dem bestehenden Immobilienmarkt in den Griff zu bekommen. Es wurden schon so viele gute Vorschläge gemacht, wie das zu bewerkstelligen ist. Auch wenn nur einige wenige der vielen kursierenden Vorschläge größere Auswirkungen haben, in ihrer Summe haben sie alle zusammen ein riesiges Potential, das es zu aktivieren gilt. Natürlich ist Umzugsmanagement, Sanktionierung von Zweckentfremdung usw. zeit- und personalaufwändiger als einen neuen Stadtteil auf der grünen Wiese zu entwickeln. Aber es hilft uns, den ökologischen Charme Freiburgs zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ich will aber noch auf einen viel wichtigeren Aspekt eingehen:
Durch die Globalisierung haben die heutigen menschenverursachten Katastrophen, anders als die regional beschränkten Katastrophen in den vielen tausend Jahre davor, inzwischen ebenfalls globale Auswirkungen. Wir befeuern auf der einen Seite den Klimawandel unter anderem durch die Zerstörung von Grünflächen wie Dietenbach und gleichzeitig werden durch den Klimawandel weltweit die Agrarflächen in besorgniserregender Weise abnehmen, was weltweit Flüchtlingsströme auslöst. Zurzeit wird die Zahl der Klimaflüchtlinge auf ca. 20 Mio. geschätzt. Schon im Jahr 2050, also in dreißig Jahren – so viel Zeit ist gerade mal seit der deutschen Wiedervereinigung vergangen – wird ihre Zahl bereits auf 140 Mio. prognostiziert. Und im Jahr 2100 rechnet man bereits mit 2 Mrd. Klimaflüchtlingen. Damit wäre ca. jeder fünfte Mensch Klimaflüchtling! Und bei uns in Deutschland haben bereits die ca. 1 Mio. Flüchtlinge der letzten drei Jahre zu politischen Verwerfungen geführt!
Es ist also Unsinn die durch den Klimawandel abnehmenden Ackerflächen auch noch durch Städtewachstum zusätzlich zu reduzieren. Meine Damen und Herren, es geht hier bei Dietenbach nicht um einen Ideologien-Wettstreit Wachstum gegen Ökologie, sondern es geht inzwischen schlicht und ergreifend um ein menschenwürdiges Überleben der Menschheit. Das scheint noch immer nicht in allen Köpfen angekommen zu sein. Es gibt keine Alternative zu einem sofortigen Stopp aller Versiegelungswünsche! Wir müssen die natürlichen Grundlagen und wir müssen unsere regionale Landwirtschaft erhalten, um die vorausgesagten Horrorszenarien zum einen abzuschwächen und uns zum andern gegen sie zu wappnen.
Wir könnten als Ökostadt ein Fanal setzen und sagen, wir bauen nicht mehr zu Lasten nachkommender Generationen. Wir wollen unsere Grünflächen nicht für ein krankes Wachstum opfern. Ich bin mir sicher, wir würden bald viele Nachahmer-Städte finden. Eine muss als Vorreiter den Mut haben zu einem Stopp der Versiegelung!
Wir von Freiburg Lebenswert / Für Freiburg sagen daher klipp und klar Nein zu einem Stadtteil Dietenbach!