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Mehr Tempo 30 wagen

Innerorts mehr Tempo 30! So lautet die Forderung der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“, welche im Juli 2021 gegründet wurde. Bisher sind die Möglichkeiten für Tempo 30 in der StVO noch stark eingeschränkt. Geht es nach der Initiative, sollen Kommunen selbst über die Höchstgeschwindigkeit innerorts entscheiden, weil sie eben am besten wissen, wo sich an ihrem Ort die Gefahrenzonen befinden und wo sich Änderungen in der Verkehrsplanung aufdrängen. So wollte auch OB Horn den innerstädtischen Tempo-Flickenteppich zugunsten eines Modellprojekts mit Tempo 30 beenden. Doch der damalige CSU-Verkehrsminister Scheuer verweigerte dies. Freiburg wurde zu einem der sieben Initiatoren der Initiative.

Die Hoffnung beruhte zunächst auf die 2021 neu formierte Ampel-Koalition. Doch diese wurde schnell enttäuscht. Für FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing sind Einschränkungen im Autoverkehr Maßnahmen gegen die Freiheit der Bürger. Nicht nur, dass er sich von vornherein gegen ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen aussprach, auch Tempo 30 auf Durchgangsstraßen bleibt für Wissing ein Tabu. Doch es kommt noch schlimmer: Wissing will auch künftig den Bau von Autobahnen vorantreiben. Mehr Klimaschutz durch weniger Verkehr? Nein. „Autofahren bedeutet Freiheit“, so Wissing.

Bei dieser Verkehrspolitik von vorgestern verwundert es nicht, dass neben dem Bausektor gerade der Verkehrssektor ständig die Klimaziele verfehlt. FDP-Minister Wissing macht vor allem Tempo beim Straßenbau und beim Aufweichen der Klimaziele. Doch es gibt auch Hoffnung: Durfte sich die Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ im Februar 2022 bereits über ihr 100. Mitglied freuen, beträgt die Mitgliederzahl aktuell 486. Da die Initiative gemäßigt und parteipolitisch vollkommen neutral auftritt, sind Stadtoberhäupter aus sämtlichen Parteien vertreten. Sehr viele kommen tatsächlich von der CDU/CSU, doch finden sich auch einige FDP-Bürgermeister unter den Mitgliedern. In Südbaden hat ganz aktuell der Bad Bellinger FDP-Abgeordnete Christoph Hoffmann seine Sympathie für die Initiative bekundet. Sein Credo: Vor Ort gefundene Lösungen sind meist zielführender als Entscheidungen von weit oben.

Für Bundesverkehrsminister Wissing wird der Gegenwind damit stärker. Insbesondere wird er nicht mehr so einfach die Kritik an seiner Verkehrspolitik als „Verkehrsideologie“ abtun können. Freiburg Lebenswert wird sich ebenfalls weiterhin für eine Mobilitätswende starkmachen. Bekräftigt wird dies mit einem klaren Nein zum geplanten Ausbau der B31-West oder zur Stadtautobahn – alles Straßenbauprojekte, welche mehr Kfz-Verkehr anziehen, anstatt diesen zu reduzieren. Der Appell muss daher lauten: Bewegt Euch! Dieser Appell richtet sich allerdings nicht nur an die Politik, sondern auch an die Bürgerinnen und Bürger. Öfters auch mal das Auto stehen lassen. Es ist keineswegs so, dass nur dort mit dem Auto gependelt wird, wo keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Gerade in den Städten werden mehr als 40 % aller Autofahrten über eine Strecke zurückgelegt, die kürzer ist als 5 km. So sieht man auch in Freiburg viele Pendler, die tagtäglich buchstäblich auf der Busspur oder neben den Straßenbahngleisen mit dem Auto zur Arbeit fahren.

Grüne, verkehrsberuhigte Quartiere haben Zukunft (Foto: K. U. Müller)

Hilfreich wäre auch, geplanten Einschränkungen im Autoverkehr etwas positiver zu begegnen. In anderen Ländern ist man teilweise schon viel weiter, wenn es darum geht, den Autoverkehr zu reduzieren. Utrecht, Amsterdam oder Kopenhagen bekommen seit Jahren Bestnoten als Fahrradstädte. Auch Barcelona schneidet sehr gut ab. Dort wurden ganze Quartiere für den Kfz-Durchgangsverkehr gesperrt. In Spanien wurde im Mai 2021 grundsätzlich in Städten Tempo 30 eingeführt. London hat vor Jahren eine City-Maut eingeführt, um den Autoverkehr aus der Stadt zu verbannen. In Paris hat Bürgermeisterin Anne Hidalgo weitgehend Tempo 30 eingeführt, Parkplätze reduziert und Radwege ausgebaut. Auch in Helsinki ist Tempo 30 Standard und nicht die Ausnahme. Der Kfz-Verkehr ist dort zudem klar von Radlern und Fußgängern getrennt. Die Folge: Seit 2015 ist in der finnischen Hauptstadt kein Kind mehr im Straßenverkehr ums Leben gekommen.

Und in Deutschland? Geplante Einschränkungen im Autoverkehr, sofern sie denn tatsächlich geplant oder gar umgesetzt werden, sorgen nicht selten für Protest aus der Bürgerschaft. In Berlin erntete die Spitzenkandidatin der Grünen Bettina Jarasch Stürme der Entrüstung, nur weil sie ein paar Meter Friedrichstraße autofrei gestalten wollte. Auch in Freiburg sorgte die Erhöhung der Anwohnerparkgebühren für hochemotionale Reaktionen. Vielleicht lohnt nochmal ein Blick nach Helsinki: Auch dort war zu Beginn der Maßnahmen die Akzeptanz geringer. Durch die vielen Vorteile einer Verkehrsberuhigung, vor allem das Mehr an Sicherheit, will aber heute niemand mehr in alte Zeiten zurück.




Rede zum EMD-Kauf

Zum EMD-Kauf (Drucksache G-23/024 und G-23/025) hat Stadtrat Dr. Wolf-Dieter Winkler (FL) am 31. Januar 2023 im Freiburger Gemeinderat folgende Rede gehalten:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine sehr geehrte Damen und Herren
!

Dietenbach sollte in erster Linie bezahlbaren Wohnraum für Freiburger Familien generieren. Mit dieser Zusage wurde beim Bürgerentscheid 2019 massiv geworben. Und was ist davon geblieben, vier Jahre später?

Entlarvend ist, was auf S. 7 der Drucksache G-23/025 steht. Da sind für Vermarktung und Öffentlichkeitsarbeit wie Werbung, Broschüren, Faltblätter, Homepage usw. sage und schreibe 9,73 Mio. € vorgesehen. Werbung für einen Stadtteil, der zur Wohnraumversorgung Freiburger Familien gebaut wird, die angeblich Schlange stehen? Frecher kann man nicht offenlegen, dass sich in Dietenbach nahezu ausschließlich Menschen von außerhalb Freiburgs ansiedeln sollen. Diese Intention habe ich schon im Juli 2018 angeprangert. Nach dem Schulentwicklungsbericht 2018, Zitat, „nimmt die Bevölkerungszahl fortwährend zu und erhält Mitte der 2020er Jahre noch einmal einen Schub aufgrund des neuen Stadtteils Dietenbach.“ Zitatende. Wir bauen und deshalb kommen Menschen und nicht umgekehrt. Für die Freiburger, die Wohnraum suchen, würde genügend Wohnraum geschaffen werden können im Güterbahnhof Nord, in Zähringen Nord, in Kleineschholz, in den vielen Verdichtungsgebieten. Wohnungen auf der „grünen Wiese“ werden für Freiburger Wohnungssuchende nicht gebraucht!

Im Dezember 2020 hatte ich im Zusammenhang mit dem Einfluss von Dietenbach auf den Freiburger Mietspiegel angemerkt, dass die 50 % frei finanzierten Wohnungen mit ihren hohen Mietpreisen den Mietspiegel für die Mietwohnungen in ganz Freiburg anheben werden. Denn nur diese teuren Wohnungen gehen in den Mietspiegel ein. Das Nachsehen hätten alle Freiburger Mieter, die nicht in geförderten Wohnungen wohnen. Sie würden die Zeche für Dietenbach zahlen müssen. Inzwischen sollen im 1. Bauabschnitt sogar alle Wohnungen verkauft werden, also nicht nur 50 % frei finanziert werden, sondern 100 %. Damit kommen doppelt so viele teure Wohnungen auf den Markt, als von mir damals angenommen. Der Mietspiegel wird also noch höher ausfallen.

Mit dem Verkauf der Grundstücke im 1. Bauabschnitt sind also als Zielpersonen in erster Linie Menschen mit großem Geldbeutel angesprochen. Glauben Sie allen Ernstes, potentielle Interessenten mit viel Geld wollen 15 Jahre auf einer riesigen Baustelle wohnen, bei weitgehend fehlender Infrastruktur? Weit ab vom Schuss zur Kernstadt, da man diesen 1. Abschnitt ja in unmittelbarer Nähe zum Frohnholz erstellen will? In Hör- und Sichtweite zweier vierspuriger Straßen, mühsam kaschiert von hohen Lärmschutzwällen, die den Bewohner das Gefühl eines Ghettos vermitteln müssen. Gehen Sie ins Internet, da werden ständig hunderte teurer Häuser und Wohnungen in bester Freiburger Lage angeboten. Wenn man also Geld und die Wahl hat zwischen Freiburger Super-Lage und Dietenbach, für was werden sich die Interessenten wohl entscheiden?

Bisher war ich in erster Linie gegen Dietenbach, weil es mit seiner gigantischen grauen Energie, durch die Vernichtung landwirtschaftlicher Flächen, durch Versiegelung usw. die ökologische und klimatische Bilanz Freiburgs massiv verschlechtern wird. Inzwischen sind FL und ich auch dagegen wegen der unverantwortlichen zusätzlichen Verschuldung Freiburgs und des hohen städtischen Risikos auf einer großen Baubrache sitzen zu bleiben, auf der niemand bauen und in die niemand hinziehen will. Wenn das Baugebiet in die Hose geht – und die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß -, möchte ich für meinen Teil nicht in der Haut eines Befürworters stecken! Ich jedenfalls, liebe Traumtänzerinnen und Traumtänzer, werde die beiden Vorlagen ablehnen.