Wie Bürger für die Schönheit ihrer Städte kämpfen

„Berlin, Potsdam, Dresden, Frankfurt am Main: In Deutschland werden so viele historische Gebäude rekonstruiert wie lange nicht mehr. Die Vorherrschaft einer verordneten, kargen Moderne ist vorbei.“ So steht es in der Einleitung zu einem bemerkenswerten Kommentar in der „Welt“ vom 13.01.2016. Der Autor Dankwart Guratzsch schreibt dort unter anderem:

„Walter Gropius meinte noch: Wenn die Leute nicht begreifen wollen, welche unübertrefflichen Lösungen wir – die Architekten – ihnen für ein modernes Leben und Wohnen anbieten, dann müssen sie notfalls dazu „erzogen“ werden. Es war die Parole: Friss, Vogel, oder stirb. Und die begann sich durchzusetzen, als Wohnungsnot herrschte und die Bauämter diktieren konnten, wie der obdachlose Otto Normalverbraucher gefälligst zu wohnen hat. Heute hat sich, das zeigen die neuklassizistischen „Luxusquartiere“ der Großstädte, die Bürgerschaft tatsächlich von diesem Diktat emanzipiert. Die Leute wählen selbst aus. Zur Verblüffung vieler Architekten ist es auch nach hundert Jahren architektonischer Moderne nicht das „Neue“, sondern das vormoderne Alte.“

So sollte man meinen. Leider jedoch noch nicht in Freiburg! Man fühlt sich hier an Bismarcks Spruch erinnert und möchte ihn entsprechend abwandeln: „Wenn morgen die Welt untergeht, dann geh ich nach Freiburg, dort kommt alles 20 Jahre später.“  So zerstören die politisch Verantwortlichen gemeinsam mit Architekten und Bauindustrie heute nach wie vor unsere Stadt. Kulturdenkmale werden weiter abgerissen und durch sterile 08/15-Moderne ersetzt. So liest man bei Dankwart Guratzsch weiter:

„Die Abwendung der Architektur von Pilastern, Giebeln und Gesimsen war (nach dem Krieg) ein Gebot der Not, kein Bekenntnis zu einem neuen „Stil“. Heute hat der Vorwand humanitärer Bedarfsdeckung seine Überzeugungskraft verloren. Zwar fehlt es nicht an Versuchen, ihn immer wieder neu zu instrumentalisieren, wozu gerade die aktuelle Flüchtlingskrise Argumente liefert. Doch dem steht die Emanzipation einer Bürgerschaft entgegen, die zunehmend allen Versuchen misstraut, im Sinne politischer, ökonomischer, ökologischer oder sozialer Programme „verfügbar“ gemacht zu werden.“

Zunehmend scheint begriffen zu werden, was sich tatsächlich hinter der Marke „Rekonstruktion“ verbirgt: ein breiter Aufstand gegen die Schablonenarchitektur der Moderne. So wird zum Beispiel beim Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt unter anderem das Haus „Goldene Waage“, ein altes, leider zerstörtes Fachwerkhaus originalgetreu rekonstruiert.

Buch_Die_moderne_RekonstruktionDankwart Guratzsch empfiehlt in seinem Beitrag die Lektüre eines Standardwerks: „Die voluminöse, bisher gründlichste Studie über „Die moderne Rekonstruktion“, verfasst von dem 35-jährigen Politikwissenschaftler und Historiker Philipp Maaß (616 S., Schnell & Steiner). Der Untertitel des Buches ist bezeichnend für die jüngste Wendung der Debatte: „Eine Emanzipation der Bürgerschaft in Architektur und Städtebau.“ Philipp Maaß untersucht in seiner Studie, wo überall diese Frontstellung zwischen Experten und Nutzern Furore macht.“

Siehe in „Die Welt“: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article150970718/Wie-Buerger-fuer-die-Schoenheit-ihrer-Staedte-kaempfen.html