Der unsägliche „Perspektivplan 2030“ war am 11.07.2017 als Top 8 Thema im Gemeinderat. Dazu hat unser Stadtrat und Fraktionsvorsitzende der Fraktionsgemeinschaft Freiburg Lebenswert / Für Freiburg (FL/FF), Dr. Wolf-Dieter Winkler, eine entlarvende Rede gehalten, die wir hier gerne im Wortlaut dokumentieren möchten:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
lassen Sie mich gleich in medias res gehen: die Presseerklärung zum Perspektivplan von letzter Woche ist ein wunderbares Beispiel, wie man mit salbungsvollen Worten Defizite verdecken und Mängel in der Planung schönreden kann. Da ist beispielsweise von „innovativen Lösungen der Siedlungs- und Freiraumentwicklung“ die Rede. Was bitte ist innovativ daran, einen Freiraum wie die Dreisamwiesen in Littenweiler, ein beliebtes Naherholungsgebiet, zuzubauen, statt als Freiraum zu erhalten?
Aber auch der Perspektivplan selbst ist gespickt mit seltsamen Phrasen. Ein besonders gelungenes Beispiel für eine Worthülse ist der Begriff „Kapern“. Unter diesem Begriff entwirft die „Green City“ folgende Zukunftsvision: „Straßen werden durch Lärmschutzbebauung gekapert.“
Ok, schauen wir uns dazu mal die zu „kapernde“ Westrandstraße an. Dazu zitiere ich aus den Planungsgrundsätzen der Stadtplanung von 1998. Sie sind beispielsweise im letzten Bürgerblatt von Betzenhausen-Bischofslinde nachzulesen. Bei der damals gerade fertiggestellten Westrandstraße wird die „Einbettung in die Landschaft“ und die „interessanten Sichtbeziehungen im Nah- und Fernbereich“ hervorgehoben. Und weiter: „Durch eine Umfahrung der Stadtteile Mooswald, Lehen, Betzenhausen und Weingarten macht diese Straße eine Verkehrsberuhigung in diesen Wohngebieten überhaupt erst möglich.“ Meine Damen und Herren, aus genau diesen Gründen wurde die angrenzende Waldfläche bereits während der Planung der Westrandstraße 1979 unter Landschaftsschutz gestellt.
Nun sollen diese gerade mal 20 Jahre alten Grundsätze der Stadtplanung obsolet sein. Jetzt gilt auf einmal das Gegenteil. Unter dem Begriff Mooswald-West sollen 11 ha des bisher geschützten Mooswaldes abgeholzt werden und eine „bezahlbare Riegelbebauung“ bis an diese vierspurige Umgehungsstraße heranreichen – sozialer Wohnungsbau als Lärmschutzwand für das dahinterliegende Wohneigentum.
Da wegen der Überbrückung der Elsässerstraße die Westrandstraße in diesem Bereich weitgehend in Hochlage geführt wird, bekommt der damalige Begriff der interessanten Sichtbeziehungen im Nah- und Fernbereich eine ganz neue Bedeutung. Da aus Lärmschutzgründen die Höchstgeschwindigkeit sicher von 80 auf 50 Stundenkilometer runtergesetzt werden wird, haben dann die Berufspendler in aller Ruhe Zeit, eine Sichtbeziehung auf Augenhöhe auch zu den Bewohnern des 2. Und 3. Stocks dieser Häuser beispielsweise bei der Morgentoilette aufbauen zu können.
Oder schauen wir uns mal die Neubauplanungen der Freiburger Stadtbau im Elefantenweg oder und im Metzgergrün an, die ebenfalls mit dem Perspektivplan begründet werden. Sie sind ein Beispiel, wie einfacher, aber äußerst preisgünstiger Wohnraum beseitigt und durch mehr, aber auch teureren Wohnraum ersetzt werden soll. Dabei sind gerade die Häuser im Elefantenweg und im Metzgergrün mit ihren angrenzenden Mietergärten genau das, was eigentlich wohnungspolitisch erstrebenswert sein sollte: Preisgünstige Mieten und eine mögliche Selbstversorgung der Mieter in den Hausgärten mit Obst und Gemüse – mit all ihren Vorteilen auch für die bedrohte Fauna und Flora. Statt dessen werden dank des Perspektivplans im Stühlinger die Kleingärten, die den Bewohnern des dichtbesiedelten Stadtteils Naherholung und Selbstversorgung bisher in unmittelbarer Umgebung ermöglichten, durch noch mehr Wohnungen ersetzt werden. Und diesen Kleingärtner werden nun Gärten im weit entfernten St. Georgen bzw. Hochdorf angeboten. Das sind aber Flächen, die wiederum den Freiburger Landwirten entzogen werden müssen. Damit wird langsam aber sicher eine Versorgung der Freiburger Bürgerschaft mit regionalen Lebensmitteln verunmöglicht. Und die immer größer werdende Entfernung zwischen den Wohnungen der Kleingärtner und ihren Gärten führt dazu, dass immer mehr statt weniger motorisierter Individual-Verkehr erzeugt wird. Oder glauben Sie allen Ernstes, dass die Kleingärtner, oftmals Senioren oder Familien mit Kleinkindern, mehrere Kilometer mit dem Rad bis zu ihren Gärten zurücklegen werden? Oder glauben Sie allen Ernstes, dass sich die Kleingärtner mit ihren verdreckten Arbeitsklamotten und ihren Körben voll geerntetem Gemüse in eine Straßenbahn oder einen Bus setzen werden? Das sollen innovative Lösungen der Siedlungs- und Freiraumentwicklung sein? Diese Lösungen sind nicht innovativ, sondern absurd, um nicht zu sagen lächerlich!
Besonders anmaßend ist der Satz in der Pressemitteilung, dass die erhobenen Bestandsanalysen und Handlungsempfehlungen des Perspektivplans eine Argumentationsgrundlage bei kontroversen Diskussionen sein sollen und sie versachlichen sollen. Meine Damen und Herren, damit wird schon mal vorab allen Kritikern des Perspektivplans unterstellt, sie seien in ihrer Argumentation unsachlich. Und die Macher des Perspektivplans stellen sich selbst damit ein Sachlichkeits-Zeugnis aus, das sie selbst unangreifbar macht. Das ist schon der Gipfel der Anmaßung!
Nein, hier gilt mein Ceterum Censeo: Dieser Perspektivplan ist kein Plan für eine nachhaltige, grüne Entwicklung Freiburgs, sondern einzig und allein ein Bauflächenakquirierungsplan. Teure Bauflächen werden aufgrund einer völlig verfehlten Ansiedlungspolitik in erster Linie betuchten Zuzüglern von außen angeboten. Die deutschlandweiten und sogar international getätigten Werbeanzeigen für den Immobilienkauf als Geldanlage in Freiburg sprechen eine beredte Sprache. Und für die weniger finanzkräftigen Bevölkerungsschichten Freiburgs bleiben dann die „gekaperten Flächen“ übrig, bei denen sie die wichtige Aufgabe des Lärmschutzes für die neuen finanzkräftigen Eigentümer übernehmen dürfen.
Und zu der angeblich hervorragenden Bürgerbeteiligung erreichte uns ja die Mail von der Arbeitsgemeinschaft Freiburger Bürgervereine (AFB), in der man sich verwundert, um nicht zu sagen verärgert zeigt, dass die Bürger das Papier nicht nochmals in seiner Endfassung zu sehen bekommen haben – nach der aufwändigen Vorarbeit, dem Engagement und dem Zeitaufwand der Beteiligten. Ähnliche Vorwürfe kamen u.a. vom Bürgerverein Mooswald im Zusammenhang mit dem Rahmenkonzept für diesen Stadtteil. Da muss man sich schon fragen, ob der „Leitfaden für Bürgerbeteiligung“ wirklich so befolgt wird, wie man sich das wünschen würde.
Meine Damen und Herren, Sprechblasen wie „Die Stadt weiter entwickeln, Freiburg bleiben“, „Die Struktur der Stadt von Morgen entwerfen“, „Flächensparende Siedlungsentwicklung“ oder „Die Stadt als Ganzes ins Visier nehmen“ sollen nur eines übertünchen: Dass mit diesem sogenannten Perspektivplan die Stadt zu Lasten ihres bisherigen Flairs komplett umgekrempelt werden soll. Und zwar nicht zu ihrem Vorteil, sondern zu ihrem Nachteil. Die Maxime des Bauens in Freiburg ist Schnelligkeit und Quantität statt Nachhaltigkeit und Qualität! Wir werden einer solchen Zukunftsperspektive Freiburgs nicht zustimmen.
Und noch ein Wort zu dem heutigen Antrag [von SPD und JPG]. Wenn es im Perspektivplan Stellen gibt, wo man sagt, das könnte man mittragen wie z.B. das Freiraumkonzept der Wonnhalde, dann kommt prompt ein Antrag von einigen Fraktionen, die auch hier noch Wohnbebauung für sinnvoll halten. Meine Damen und Herren, die Wonnhalde ist ein Naherholungsgebiet für alle Freiburger, egal ob sie in Landwasser, Weingarten, Herdern oder in der Wiehre wohnen. Wenn Sie diese Flächen auch noch zubauen wollen, dann bin ich mal gespannt auf die Reaktionen aus der Freiburger Bevölkerung.
Stadtrat Dr. Wolf-Dieter Winkler (FL)