Haushaltsrede 2023/2024

FL-Stadtrat Dr. Wolf-Dieter Winkler hat am 9.5.2023 folgende Rede zum Haushalt gehalten:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren
!

Ein guter Haushalt muss sich daran messen lassen, ob durch ihn die Lebensqualität für die Stadtbewohner und vor allem für künftige Generationen erhalten oder gar gesteigert wird. Eine Herausforderung angesichts der globalen bedrohlichen Veränderungen.

Die Verkehrswende ist in Freiburg auf einem guten Weg. Auch wenn die Frontleute des Fuß- und Radentscheids verständlicherweise bemängeln, dass wir sie nicht schnell genug umsetzen und mit zu wenig finanziellen Mitteln ausstatten, so muss man doch festhalten, dass sich die Stadt Mühe gibt, den Umbau weg von einer autogerechten Stadt zu schaffen. Eine Ausnahme bildet der Stadttunnel. Während immer mehr Freiburger erkennen, dass ein Stadttunnel der Verkehrswende schadet und weder der Stadt und erst recht nicht den Anliegern an der B31 im Schwarzwald gut tut, hat sich diese Erkenntnis bei Stadt und Gemeinderat mehrheitlich noch nicht durchgesetzt.

Als Ansporn bei der Energiewende muss erst der Kriegsverbrecher im Kreml seine Großmachtphantasien in die Tat umsetzen, bevor sie in der „Ökohauptstadt“ richtig angegangen wird. Das ist einfach nur beschämend! Aber immerhin nimmt sie jetzt Fahrt auf. Geothermie, Wärmenetze, Windkraft, Photovoltaik und deren Finanzierung sind die Themen, die die nächsten zwei Jahrzehnte Freiburg beherrschen werden. Aber was immer noch nicht mitgedacht wird, ist die Graue Energie durch den Abriss von Gebäuden wie im Metzgergrün.

Stadtverwaltung und Gemeinderat sind dem Wohl der Freiburger Bürger verpflichtet. Aber Freiburg hat das Problem, dass die Stadtspitze – anders als immer mehr Bürger – in ihrem Grunddenken immer noch der Wachstumsphilosophie der 1950er und 1960er Jahre anhängt. Anders kann man sich die Euphorie, die mit der Ansiedlung jedes Gewerbe- oder Industriebetriebs hervorgerufen wird, nicht erklären. Über Aussagen des OB wie „Wir wollen für den Standort werben, dass Firmen, wenn sie nach Deutschland kommen, sich Freiburg auswählen“ kann man nur noch den Kopf schütteln. Klar, dass sich da die FWTM auf die eigenen Schultern klopft, wenn sie ein Unternehmen, das sich bereits für einen Standort in einer anderen Stadt entschieden hatte, doch noch nach Freiburg gelotst hat. Dieses Pharma-Unternehmen, Intuitive Surgical, will rund 600 Arbeitsplätze schaffen für Leute, die wohl kaum aus der Freiburger Bürgerschaft rekrutiert werden dürften. Somit braucht es für seine neuen Mitarbeiter und deren Familien Wohnungen in der Anzahl der Arbeitsplätze, also rund 600. Und dass dafür ein Sportverein, der SV Solvay, praktisch platt gemacht wird, weil er alle seine Sportflächen verliert, ist das nächste Ärgernis bei dieser Aktion. Bei einer Stadt, die, wenn alle geplanten Baugebiete realisiert würden, um mindestens 20.000 Menschen wächst, braucht es nicht weniger, sondern mehr Sportstätten. Ausgerechnet im Freiburger Norden sind ohnehin zu wenige Sportflächenangebote.

Und als direkte Folge solcher Anwerbungen wird auch dem Wohnungsbau, diesem Goldenen Kalb, rücksichtslos alles unterworfen. Leidtragende sind zum einen die Bewohner von Metzgergrün, Drachenweg usw., denen die Häuser und Hausgärten „wegsaniert“ werden und zum zweiten Landwirte und die Natur, da trotz Innenverdichtung momentan noch an die zehn Baugebiete auf der Grünen Wiese geplant sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem finanziellen Haushalt der Stadt müssen endlich der Wasserhaushalt, der CO2-Haushalt und nicht zuletzt der Agrarhaushalt konsequent mitbedacht werden. Wohnungsbau, der einhergeht mit Versiegelung, Vernichtung von CO2-Senken und landwirtschaftlichen Flächen, verschlechtert diese Neben-Haushalte massiv, was sich wiederum nachteilig auf künftige Doppelhaushalte auswirken wird.

Der Club of Rome hat bereits 1972 klipp und klar durch eine vom MIT (Massachusetts Institute of Technology) erstellte Studie belegen lassen, wohin ungezügeltes Wachstum führt. Wir können nicht so weitermachen wie bisher! Wir müssen Baugebiete auf der Grünen Wiese aufgeben. Natürlich ist mir klar, dass man Ziele, die lange Jahre für wichtig oder gar alternativlos gehalten wurden, ungern aufgibt. Aber wir haben keine andere Wahl! Die Natur zeigt uns schonungslos, was alternativlos ist, nämlich ein sofortiges Umdenken hinsichtlich allem, was Klimawandel, Artenschwund, Versiegelung, Wasserknappheit, Ressourcenausbeutung und globale Vermüllung befeuert. Angesichts der immer dramatischeren Folgen des Klimawandels ist ein Festhalten am Bauen auf der grünen Wiese unverantwortlich. Abgesehen davon, dass wir uns ein Dietenbach auch finanziell überhaupt nicht leisten können. Ich kann da nur UN-Generalsekretär António Guterres zitieren: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“. Und Freiburg mit seinem ungezügelten Bauen vorneweg! Wir sollten erstmal die bereits versiegelten Flächen in Zähringen Nord, Güterbahnhof Nord oder an der Ensisheimer Straße bebauen – was bei Letzterem bedingt, dass wir endlich eine neue, klimaneutrale Eissporthalle erstellen müssen, um die alte CO2-Schleuder auszumustern.

Erfreulicherweise haben sich nun 17 Organisationen (Landwirte, Umweltschützer, Klimaaktivisten, Wissenschaftler, Wandervereine usw.) zusammengeschlossen, um den Flächenverbrauch in unserem Bundesland per Volksantrag zu begrenzen. Dieser sei neben dem Klimawandel und dem Artenrückgang das dritte große Umweltproblem in unserem Land. Der Flächenverlust liegt bei rund 6 ha, am Tag wohlgemerkt. Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag ist vereinbart, diesen Wert auf 2,5 ha zu senken und bis 2035 auf 0 ha zu bringen. Ihr Schwerpunkt liegt auf Innenentwicklung, was auch FL immer wieder fordert. Davon sind die Grünen und die CDU hier im Gemeinderat mental meilenweit entfernt. Bei ihnen ist Konsens auch nach 2035 weiter Flächen zu versiegeln.

Die vielen geplanten Baugebiete beanspruchen überdies personelle Ressourcen, die uns an anderer Stelle fehlen: Bei der Erstellung von Bebauungsplänen, um Betonmonstern wie am Kapellenweg einen Riegel vorzuschieben. Bei der Aufstellung von Erhaltungs- und Gestaltungssatzungen, um Abrisse wie die des Gründerzeitbaus in der Habsburgerstraße 91 zu verhindern. Beim Aufspüren und Sanktionieren der massiven Leerstände von Gebäuden und Wohnungen.

Bevor man ständig neue Leute nach Freiburg lockt, sollte man sich doch erstmal darum kümmern, dass die Probleme vor Ort gelöst sind. Wir brauchen Wärmenetze für vorhandene Stadtteile statt für neue Baugebiete. Wir brauchen Kitas und Erzieherinnen, sowie Schulen für die Schüler, die bereits in Freiburg leben. In diesem Zusammenhang ist es richtig, dass wir mit diesem Haushalt mehrere Schulen erweitern oder sanieren wollen, aber völlig irrig, dass wir mit dem Lycée Turenne eine Schule haben, bei der ein ganzer Flügel sanierungsbedingt seit dreißig Jahren leer steht, weil Stadt und Gemeinderat andere Prioritäten setzen.

Eine Erhöhung der Kitagebühren zum jetzigen Zeitpunkt lehnt FL übrigens ab. Auch wenn mit der geplanten Neuregelung mehr Familien von ermäßigten Tarifen profitieren und nur noch 48% der Eltern den Regelbeitrag zahlen würden. Momentan wäre dies aufgrund fehlender Erzieherinnen und dem ungewissen Regelbetrieb, der die Eltern oft zu kurzfristiger Ersatz-Betreuung zwingt, ein völlig falsches Zeichen.

In anderen Städten wäre man froh, man hätte Initiativen wie Bauernhoftiere für Stadtkinder im Obergrün in Betzenhausen, den Kunzenhof in Littenweiler, den Junghof in Kappel, die Gärtnerei Initiative und den Ziegenwiese-Verein in Zähringen oder das Netzwerk Dietenbachwald im Rieselfeld. Sie alle versuchen Grün in der Stadt zu halten und mit viel ehrenamtlichem Engagement Kindern und Jugendlichen, Kindergartengruppen und Schulklassen, Natur und Tiere nahe zu bringen. Und was macht die Stadt? Sie rückt ihnen mit Wohnbebauung auf die Pelle, versucht andere Flächen-Nutzungen durchzudrücken oder kürzt ihnen die ohnehin schon spärlichen Unterstützungsgelder. Dem Kunzenhof und dem Junghof soll ihre Unterstützung von 20.000 € bzw. 10.000 € auf jeweils die Hälfte gekürzt werden. 15.000 € Einsparung bei zwei gemeinnützigen Initiativen, während in Kleineschholz über 70.000 € für jede der 500 Wohnungen zugeschossen werden sollen. Das ist einfach nur peinlich und schäbig!

Egal, ob es um den Erhalt des Dietenbachwaldes oder von Kleingärten, um die Aufstockung des VD (Vollzugsdienstes), um die Nichterhöhung der Kitagebühren, um den Bau von Eissporthalle oder Außenbecken Westbad geht: Meist liegen die Wünsche der Freiburger Bürger, erst recht die Interessen der künftigen Generationen und damit die von FL auf der einen und die Mehrheits-Entscheidungen von Verwaltung und Gemeinderat auf der anderen Seite weit auseinander.

Meine Eingangsbeschreibung eines guten Haushalts ist daher mit diesem Haushalt – aufgrund der einseitigen Ausrichtung der Ausgaben hin auf den zerstörerischen Wohnungsbau auf der Grünen Wiese – wieder nicht gegeben. Ich werde daher diesen Haushalt erneut ablehnen.