Umbenennung der Straßennamen – Rede von Dr. W.-D. Winkler

15.11.2016

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Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich frage mich immer noch, was den Gemeinderat damals geritten haben könnte, eine alle Straßen Freiburgs betreffende Überprüfung der Straßennamen in Auftrag zu geben. Es war doch zu vermuten, dass man damit einen Geist aus der Flasche lässt, der nur schwer wieder einzufangen ist. Das grundlegende Problem bei einer solchen Diskussion ist doch, dass der Mensch nicht fehlerlos ist oder wie es im 1. Buch Mose festgestellt wird: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Es ist doch klar, dass man unter solchen Vorzeichen kaum jemanden findet, nach dem man guten Gewissens eine Straße benennen könnte.

Ich will hier nicht nochmal die ganzen Begründungen für ein Belassen der Straßennamen anbringen, die in den Leserbriefen und sozialen Netzwerken sich mit dieser Thematik beschäftigen und die viele interessante Argumente aufführen. Das hat Frau Jenkner (CDU-Stadträtin) sehr ausführlich und nachvollziehbar dargelegt. In diesem Zusammenhang halte ich die Behauptung des Kommissionsvorsitzenden, des Historikers Bernd Martin, dass dort, also in den Leserbriefen, „viele, unreflektierte Meinungen zum Vorschein kamen“ für nicht hilfreich und auch sehr abwertend. Unreflektiert bedeutet ja, dass man bedenkenlos, ungeprüft, unkritisch, ohne zu überlegen Gedanken zu einem Thema äußert. Da tut Herr Martin sicher den meisten Leserbriefautoren unrecht, auch wenn er dies aus der wissenschaftlichen Sicht eines Historikers anders sehen mag. Aber was hier viele geäußert haben, ist eine Sichtweise des gesunden Menschenverstandes und nicht die wissenschaftliche Sicht des Historikers. Und es ist auch bezeichnend, dass Herr Martin selbst einräumen muss, dass es bei der Beantwortung der Frage, ob Umbenennung oder nicht, „keine objektiven Kriterien“ gibt.

Völlig richtig! Denn warum bleibt Vauban, der durch das Niederreißen der Freiburger Vorstädte, insbesondere der Neuburg, massenhaft Familien in Not und Elend gestürzt hat, bei der Umbenennung außen vor? Nicht nur eine Allee, sondern ein ganzer Stadtteil, durch den diese Allee führt, ist nach Vauban benannt. Die Begründung von Herrn Martin, dass, wenn Vauban es nicht gemacht hätte, es dann ein Habsburger Festungsbaumeister gemacht hätte, ist hanebüchen. Offensichtlich ist sich Herr Martin nicht der gefährlichen Konsequenz einer solchen Aussage bewusst. Denn mit derselben Begründung hätte man einen KZ-Aufseher rehabilitieren können: Wenn er die Juden nicht ins Gas getrieben hätte, dann hätte es ein anderer gemacht. Das wäre eine unsägliche Schuldabweisung.

Oder was ist mit Luther? Als Lutheraner sage ich es nur ungern, aber Luther hat im Laufe seines Lebens seine zunehmend schlechten persönlichen Erfahrungen mit Juden mehr und mehr in antisemitische Äußerungen einfließen lassen:

„Juden seien blutdürstig, rachsüchtig, das geldgierigste Volk, leibhaftige Teufel, verstockt“ und er schlug sieben Schritte als „scharfe Barmherzigkeit“ vor: man solle u.a. „ihre Synagogen niederbrennen, ihre Häuser zerstören und sie wie Zigeuner in Ställen und Scheunen wohnen lassen“, um nur einige seiner „Vorschläge“ zu nennen. Ich habe nicht gehört, dass deswegen die Lutherkirchstraße umbenannt werden soll. Und noch besser: wir werden nächstes Jahr das Lutherjahr feiern, weil sich am 31. Oktober 2017 die Reformation zum 500. Mal jährt. Am 31. Oktober 1517 schlug Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg. Deshalb wird der Reformationstag im Jahr 2017 in Baden-Württemberg sogar zum allgemeinen Feiertag. Soviel zu den Ehrungen des Judenhassers Luther.

Meine Damen und Herren, Wolfram Wette, ehemaliger Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg, wird zitiert mit den Worten: „Potentiell ist jeder in Gefahr, unter bestimmten historischen Bedingungen in eine Situation zu geraten, in der er ein solches Mordgeschehen zu verantworten hat. Es bleibe immer die Frage: Wie viel von einem Jäger steckt eigentlich in uns allen?“ Zitatende. Ich will es ergänzen: Wir alle, die wir hier sitzen, haben in unserer rechtsstaatlichen Demokratie nicht die Lebenserfahrungen gemacht, die andere unter zum Teil ganz anderen Lebensumständen gemacht haben. Und aus denen sie ihre Motivation zu Taten ableiteten, die wir heute aus unserer sicheren Alltagsposition nicht verstehen können und glauben moralisch hinterfragen zu dürfen.

Und jetzt zu Ihrer Aussage, Frau Viethen (Stadträtin Grüne), dass es bei der Umbenennung nicht um Mitläufer, sondern nur aktiv handelnde Personen geht. Da will ich Ihnen nochmal einen Altfall in Erinnerung rufen: 1997 hatten wir schon einmal eine Umbenennung, nämlich die Uhlenhuthstraße in Thannhauserstraße, weil in einem damaligen Fernsehfilm der ARD mit dem Titel: “Ärzte ohne Gewissen“ Paul Uhlenhuth nationalsozialistisches Gedankengut vorgeworfen wurde. Es gab zwei Vorwürfe, wobei der Schwerwiegendere der war, dass er 1933 eine Unterschrift in Vertretung von nicht in Freiburg weilenden Amtsträgern unter ein Papier setzte, das die Entlassung jüdischer Kollegen aus der medizinischen Fakultät zum Ziel hatte. Meine Damen und Herren, er dürfte sich dabei in einer Zwangssituation befunden haben. Folgte man der Vauban-Argumentation von Herrn Martin, könnte man dies auch bagatellisieren, da, wenn nicht Uhlenhuth, dann jemand anderes unterschrieben hätte. Von Uhlenhuth heißt es in seiner Biografie von Herbert Neumann am Schluss: „In allen gefundenen Äußerungen erweist sich Uhlenhuth als integerer, bescheidener Mann, der seine Forschungen bis zum Schluss mit großer Hingabe und Leidenschaft betrieb. In allen vorliegenden Dokumenten fand sich nicht eine antisemitische Bemerkung. Als Zögling des 19. Jahrhunderts und der streng naturwissenschaftlich orientierten Medizin war seine persönliche Perspektive möglicherweise unsensibel für historische Strömungen, die uns heute in einem anderen Licht erscheinen. Insbesondere musste seine Perspektive eine andere sein als die eines Betrachters nach dem Krieg mit dem Wissen um den Holocaust.“ Zitatende.
Nachkriegsoberbürgermeister Hoffmann schlug dem Gemeinderat 1950 vor, Uhlenhuth zum Ehrenbürger der Stadt Freiburg zu ernennen. Ich zitiere weiter: „Hoffmann war selbst Verfolgter des NS-Regimes und über Jahre hinweg mit Uhlenhuth persönlich und freundschaftlich verbunden. Es scheint schwer nachvollziehbar, weshalb sich ein Verfolgter des NS-Regimes für eine Ehrenbürgerschaft einsetzen und mit Uhlenhuth freundschaftlich verkehren sollte, wenn er wirklich der Ansicht gewesen wäre, dass Uhlenhuth ein aktiver Nationalsozialist gewesen sei. Zitatende. Uhlenhuth war also noch nicht einmal Mitläufer, Frau Viethen. Das hielt den Gemeinderat aber nicht davon ab, trotz der Proteste der Familie Uhlenhuths seine Umbenennungsaktion durchzuführen, ich vermute, inklusive Ihrer Stimme, Frau Viethen. Uhlenhuth ist übrigens der Urgroßvater meiner Frau.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch eher die Worte aus dem Johannesevangelium bedenken, in der Jesus einen Disput hat mit den Pharisäern, die die Steinigung einer Ehebrecherin erwägen: „Wer von Euch ohne Sünde sei, der werfe den ersten Stein“. Nicht umsonst ist das Wort „Pharisäer“ auch heute noch der Inbegriff des heuchlerischen Moralisten, der sich über andere erhebt, ohne seine eigenen Unzulänglichkeiten zu bedenken. Lassen Sie uns an die guten Seiten der Namensgeber im Straßennamen erinnern und ihre Negativseiten in einer Zusatzerklärung auf den Straßenschildern vermerken.

Von meiner Fraktionsgemeinschaft sind wir drei Stadträte von „Freiburg Lebenswert“ gegen eine Umbenennung von Straßen. Herr Professor Rückauer von „Für Freiburg“ kann sich dagegen in Einzelfällen eine Umbenennung vorstellen.