Offener Brief des Stadtrats Dr. Wolf-Dieter Winkler von Freiburg Lebenswert an seine Stadtratskollegin und Vorsitzende der SPD-Gemeinderatsfraktion Renate Buchen:
Liebe Renate,
von verschiedenen Seiten wurde mir zugetragen, dass Du Dich bei der GR-Sitzung am letzten Dienstag sehr abfällig über die Gemeinderäte von Freiburg Lebenswert (FL) ausgelassen haben sollst, sinngemäß, dass diese hoffentlich irgendwann auch noch genügend Hirn bekommen, dass sie endlich einsehen, dass preisgünstige Wohnungen gebaut werden müssen. Und in diesem Ton leicht unter der Gürtellinie ging es offensichtlich längere Zeit weiter. Ich finde es äußerst bedauerlich, dass Du meinst, Dich auf unsere Kosten in einer GR-Sitzung profilieren zu müssen, in der wir selbst gar nicht anwesend waren und uns folglich auch nicht wehren konnten. Das ist sicher nicht der Stil im Miteinander der verschiedenen Fraktionen, wie wir ihn uns seitens FL vorstellen und wünschen.
Nun nur ganz kurz zu dem Thema, um das es offensichtlich ging, das Bauen: Seit den 60er Jahren wurde in FR ein Baugebiet und ein Stadtteil nach dem anderen aus dem Boden gestampft. Nach der Logik derjenigen, die der Gleichung anhängen „Viel Bauen = Preisgünstiger Wohnraum“, sollten wir uns also in FR vor preisgünstigem Wohnraum gar nicht mehr retten können. Doch die Realität ist eine ganz andere, in FR fehlt preisgünstiger Wohnraum. Die Frage ist also, warum diese Gleichung die letzten 50 Jahre offensichtlich nicht gestimmt hat. Und die zweite Frage ist, warum sie trotzdem viele für richtig halten. Die zweite Frage muss jeder Anhänger der obigen Gleichung sich selbst beantworten. Wir von FL haben uns mit der ersten Fragestellung über die letzten 2-3 Jahre beschäftigt und dabei festgestellt, dass der Marktgrundsatz „Bei hoher Nachfrage nach einem Produkt, muss das Produkt in größerer Anzahl hergestellt werden“ die Verhältnisse im „Wohnungsmarkt“ keinesfalls korrekt widerspiegelt. Es gibt aus den verschiedensten Gründen ein Marktversagen. Insbesondere die Freiburger Linie „Alte Bausubstanz abreißen, neue Bauten schaffen“ führt genau zum Gegenteil dessen, was man vorgibt zu wollen. Es entsteht immer weniger preisgünstiger Wohnraum, die Notfallkartei wird aufgefüllt, statt geleert. Dies alles kann man beispielsweise nachlesen in dem Buch „Mietenwahnsinn“ von Andrej Holm, der an der Berliner Humboldt-Universität zu den Themen Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik forscht. Es ist populär-wissenschaftlich gehalten und leicht zu lesen!
Heute war ich in der Sitzung des Gestaltungsbeirates, etwa 1/3 der Zuhörer waren Mitglieder von FL, darunter 2 der 3 Stadträte von FL. Vom gesamten GR war sonst nur Atai Keller und Helmut Thoma anwesend! Hier ging es um wesentliche Baugebiete in der Stadt, also die zukünftige Entwicklung der Stadt und es besteht fast kein Interesse des GR? Da hätte man z.B. erfahren können, dass auf dem Gelände des Güterbahnhof Nord statt der angeblich so dringend benötigten Wohnungen ein großer Bau erstellt wird für die beiden amerikanischen Hotelketten „Hampton“ und „Super8“, vermutlich finanziert durch irgendwelche gewinnorientierten Renten- oder Immobilienfonds. Kein Interesse des GR?
Wir von FL behaupten beileibe nicht, dass wir die Bauen-Weisheit mit Löffeln gefressen haben, aber wir versuchen immerhin uns fortzubilden, um uns dann auf dieser Grundlage eine Meinung bilden zu können. Dadurch konnten wir uns auch relativ schnell von der obigen falschen Gleichung verabschieden. Es wäre wünschenswert, wenn andere auch so denken und handeln würden, statt über den politischen Gegner zu polemisieren.
Liebe Grüße, Wolf-Dieter Winkler