„Im Städtebau fehlt es nicht an Geld, sondern an Geist!“

Möglichst viele Wohnungen in möglichst kurzer Zeit zu bauen und dabei möglichst hohe Gewinne einzustreichen, das sei das Rezept für die Überwindung der Wohnungsnot, so wird immer wieder behauptet. „Doch die Wirklichkeit stellt ganz andere Forderungen“, so der bekannte und mehrfach ausgezeichnete Journalist und Architekturkritiker Dankwart Guratzsch in einem sehr lesenswerten Debatten-Beitrag der Tageszeitung „Die Welt“ vom 6. Juni 2019 unter dem Titel „Worauf es beim Wohnungsbau wirklich ankommt“.

Er stellt unmissverständlich fest, dass in politischen Diskussionen und Stadtplanungen vor allem davon die Rede ist, was sich schnell und billig herstellen lässt. Ein Begriff aber fehlt für ihn: Schönheit. Und er fragt: „Wie kann man annehmen, dass sich die Wohnungsnot beseitigen lässt, wenn man nur für das nackte Bedürfnis baut, anstatt die gestiegenen Ansprüche und die Wohnzufriedenheit, die neuen Wohnstile, die neue Gesellschaftsstruktur zu berücksichtigen?“ Die Architektur der Gründerzeit – so seine provozierende These – muss wieder zum Vorbild für den heutigen Wohnungsbau werden.

Der Bauwahn in Freiburg verdeckt bald das Münster. Teurer Neubau schafft aber meist keine bezahlbaren Wohnungen. (Foto: U. Glaubitz)

Die Mieten würden, so Guratzsch, gerade überwiegend in Gründerzeitquartiere explodieren, die das bereithalten, was die Menschen am meisten wollen: Nämlich all jene Vorzüge, die die „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ der EU aus dem Jahre 2007 den Bürgern versprochen hat. Aber solche Quartiere würden heute nicht mehr neu konzipiert, sondern man rede vom „schnellen Bauen, von Kostengünstigkeit, gar von Enteignung, die – Wohnungsbauexperten sollten es wissen – in der DDR zum flächenhaften Verfall der Innenstädte geführt hat.“ Die zeitgenössische Architektur, der moderne Städtebau habe den Vorzügen der Stadtteile aus der Gründerzeit nichts Adäquates an die Seite zu stellen.

„Die Wirklichkeit stellt ganz andere Forderungen. Denn die Gründerzeitquartiere sind ja nicht deshalb gefragt, weil sie alt sind. Sondern weil sie all das bieten, was das urbane Leben spannend, unterhaltsam, lebendig, „urban“ macht“, so Guratzsch. „Soziale Mischung, sogar im selben Haus, kurze Wege, Läden und Kneipen, stille private, grüne Höfe, die mitten in der Stadt eine abgeschirmte Idylle bieten — all das hält die Stadt der Kaiserzeit bereit, die damals allein aus Privatmitteln erschaffen wurde, ohne einen einzigen Pfennig ‚Staatsknete‘, ohne sozialen Wohnungsbau, ohne Bürgerbefragungen, ohne Dutzende Forschungsinstitute und Hunderte Forschungsreihen.“

Für heute stellt Guratzsch dagegen unmissverständlich fest: „Viele Bürgermeister, Planer, Wohnungsgesellschaften oder Immobilienkonzerne interessieren sich immer noch nicht dafür, wie zu dem jahrhundertealten Gesetz zurückgefunden werden kann, wonach gut gestaltete Städte ihren Preis wert sind. Sondern sie zeigen sich nur an Schnelle-mach-hurtig im Städtebau interessiert. Und so sehen die Ergebnisse heute auch aus.“

Unter Denkmalschutz: Die Gartenstadt in Freiburg Haslach.

Wenn wir uns bei Freiburg Lebenswert (FL) immer wieder für den Erhalt des Stadtbildes eingesetzt haben, dann haben wir das gerade in diesem Bewusstsein getan, dass die beste Stadtplanung in Freiburg bereits in den Zeiten von Bürgermeister Winterer stattgefunden hat. Diese in die Moderne weiter zu entwickeln heißt aber nicht dem „bequemen Trott und Schematismus der trivialen Funktionalität“ zu folgen, wie Guratzsch schreibt, sondern „das Leitbild der so erfolgreichen, auch noch nach mehr als 100 Jahren aktuellen und beliebten Stadt neu zu beleben und sozial wie funktional gemischte, schöne und lebendige Städte der kurzen Wege, der Energieeinsparung und des ökologischen Gleichgewichts zu schaffen.“ Und er schließt mit der Feststellung: „Im Städtebau fehlt es nicht an Geld, sondern an Geist.“

Siehe mehr bei: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article194994999/Architektur-Gruenderzeit-als-Vorbild-fuer-heutigen-Wohnungsbau.html