„Betriebsblindheit“ und „verlorene Bodenhaftung“

Ein Blick auf die Kommentare nach dem sensationellen Wahlsieg von Martin Horn zeigt, wie unterschiedlich die Wahrnehmung offensichtlich sein kann. Dies bezieht sich vor allem auf die Bürgernähe, mit der Martin Horn eine echte Alternative zum abgewählten Amtsinhaber geboten hat und mit der er einen ganz anderen, völlig neuen Politikstil gepflegt hat. Damit kamen die etablieren Parteien (Grüne und CDU) offenbar ebenso wenig zurecht, wie die in Freiburg etablierte Monopol-Presse (BZ).

Die überregionale Presseschau sowie Kommentare von Lesern, die unter Beiträge auf BZ-Online geschrieben wurden, zeigen, dass es auch ein ganz anderes Bild zum Wahlsieg von Martin Horn gibt, als das der „betriebsblinden“ lokalen Presse und das des Salomon-Lagers, dem offenbar „die Bodenhaftung verloren gegangen ist“ (Zitate aus Online-Kommentaren, s. u.).

Ein Beispiel für diese Betriebsblindheit ist z.B. der Kommentar von Kerstin Andreae, als sie in ihrem ersten Statement vor dem Rathaus nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses bedauerte, dass offensichtlich die Freiburger Wähler sich für Klimaschutz nicht mehr interessieren würden. Richtig ist da wohl eher, dass Martin Horn nicht gewonnen hat, weil die Wähler keine grünen Themen mehr wollen, sondern weil sie diese ihre grünen Anliegen bei der Partei der Grünen (zumindest in Freiburg) nicht mehr vertreten sehen.

Dass die grün geprägte Freiburger Wahlbevölkerung nicht mehr die sogenannten „Grünen“ als die besten Vertreter der grünen Themen ansehen, ist für Freiburg Lebenswert (FL) eine große Chance, denn schließlich hat diese basisdemokratisch-liberal ausgerichtete und Bürgerinteressen vertretende Wählervereinigung das Grün nicht nur in ihrem Logo sondern macht ganz wesentlich auch grüne Kommunalpolitik.

   

  

Hier einige ausgewählte Kommentare bei BZ-Online:

Von Werner Kohl.

„Wenn Salomon (nach dem ersten Wahlgang) argumentierte, es gäbe in der Stadt ja nur ein diffuses Gefühl der Unzufriedenheit, zeigt das, dass er die Bodenhaftung komplett verloren hatte und mit verbundenen Augen und verstopften Ohren durch die Stadt lief. Gewichtige Anliegen der Bürger perlten an ihm ab: Innenstadtbewohner, die durch nächtliche Sauforgien um den Schlaf gebracht werden, Geschäftsleute die beklagen, dass Passagen und Nebenstraßen zum Pissoir geworden sind und frühmorgens und am Wochenende die Stadt aussieht wie eine Müllhalde, Hoteliers die darauf hinweisen, dass der Colombi-Park zum Drogenumschlag- und Fixerplatz wurde und ihre Gäste Angst haben, ihn zu betreten, Hunderte von Bäumen die Bauprojekten geopfert wurden, eine verkorkste Wohnungsbaupolitik, ein völlig unsensibler Umgang mit dem jüdischen Erbe auf dem Platz der alten Synagoge. Die Liste der Fehlleistungen ließe sich beliebig fortsetzen bis hin zur Erklärung, die Hornwähler wollten eben gerne zum Siegerlager gehören: eine Beleidigung für alle, die aus den genannten Gründen Horn gewählt haben.“

Von Jürgen Steinke:

„(…) Betriebsblindheit droht allen, die längere Zeit mit Gleichem beschäftigt sind. Beschäftigten in Unternehmen, Politikern und Redakteuren in Zeitungen. Letztere sollten allerdings möglichst nicht in diese Falle tappen. Es war offenkundig, wie sehr auch die BZ vom Wahlausgang überrascht war. Und wer aufmerksam war, konnte auch die mediale Unterstützung für den Kandidaten Salomon aus einigen Texten herauslesen. Distanz und Unabhängigkeit sind allerdings Grundvoraussetzungen für guten, fairen und vor allem erkenntnisreichen Journalismus. (…)“.

Von unserem Mitglied Horst Dieter Akermann:

„Ich bin stolz auf unseren OB Martin Horn. Selbst am Höhepunkt seines spektakulären und kräftezehrenden Wahlkampfest, der durch die unerwartete Aktion eines kranken Menschen leicht hätte zum Tiefpunkt werden können, zeigte er Größe durch christliches Verhalten. Noch einmal ein Pluspunkt, auf dessen Demonstration wir lieber verzichtet hätten. Es ist kaum zu glauben, Martin Horn hat Freiburg verändert und zu einer unerwarteten Geschlossenheit geführt. Er wird ein erfolgreicher Oberbürgermeister werden.“

Und hier einige Ausschnitte aus Kommentaren und Beiträgen der überregionalen Presse:

Deutschlandfunk:

„Vordergründig sind dafür (für Salomons Abwahl; ug) lokale Gründe wie die extrem hohe Mieten und die große Wohnungsnot ausschlaggebend gewesen. Allerdings: Um Wohnungen zu bauen, und nebenher auch ein neues Fußballstadion, ließ Salomon schon mal Biotope zuschütten und Bäume fällen – und vergrätzte damit seine eigene Parteibasis. (…) Diejenigen, die einst euphorisch grün gewählt haben, wollen ihren Wählerwunsch nicht durch (…) Sachzwänge vernebelt sehen. Sie wünschen sich, dass grüne Werte deutlich im Regierungshandeln erkennbar bleiben, selbst wenn die CDU der Koalitionspartner ist. Ist dieser grüne Stempel nicht mehr erkennbar, wird es vielen grünen Wählern zu bunt  und sie machen ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel anderswo.“

DIE WELT:

„Die Niederlage Salomons kann nur auf den ersten Blick überraschen. Wer sich in jüngster Zeit in Freiburg umhörte, dem konnte weder entgehen, dass sich die Stadt immer mehr in Wechselstimmung befand, noch dass mit Martin Horn ein Kandidat bereitstand, der diesen Wechsel auch verkörpert. Horn verkörpert jene Jugendlichkeit und Aufbruchstimmung, nach der man sich in Freiburg sehnte. Horn konnte die Freiburger von sich überzeugen – und davon, dass 24 Jahre Salomon zu viele gewesen wären.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ):

„Salomon ist in den 16 Jahren die Nähe zu den Bürgern abhandengekommen, und auch für das in Freiburg wie nirgendwo sonst in der Republik gut verankerte grüne Kernmilieu hatte er manchmal nur noch Spott übrig. (…) Die Bürger wollten einen neuen Oberbürgermeister und ganz sicher auch einen Neuanfang in der Wohnungsbau- und Stadtentwicklungspolitik.“

Der Spiegel:

„Salomons Niederlage kommt zumindest für Freiburger Verhältnisse, einem politischen Erdbeben gleich. Zum Verhängnis wurde Salomon unter anderem, dass er lieber managte als erklärte und gelegentlich durchblicken ließ, wie sehr ihn das Klein-Klein und manche Befindlichkeitsdebatten nervten. Die drohende Niederlage sah er nicht kommen. Folgerichtig wird Salomon nun von einem Bewerber beerbt, der sich besonders als Zuhörer profiliert hat: Martin Horn setze im Kampf um die Stimmen vor allem auf Authentizität und Frische, flankiert durch einen professionellen Wahlkampf im Internet.“

Stuttgarter Zeitung:

„Die Ökohauptstadt Deutschlands schickt ihren grünen Oberbürgermeister in die Wüste. Was für eine Schmach! Wer glaubt, die Niederlage gründe allein in der Arroganz des Amtsinhabers Dieter Salomon, der irrt. Es mag ja sein, dass Salomon als südbadischer Provinzkönig mit der Zeit die Bodenhaftung verlor. Aber das Desaster ausschließlich mit dem herben Charme des Amtsinhabers zu erklären, greift dann doch zu kurz. Es scheint so, als ob die Transformation der Grünen in eine CDU mit Faible für den Insektenschutz ihre Grenzen erreicht hat.“

SWR:

„Viele, zu viele Freiburger haben auch richtige Probleme. Allen voran die, die eine bezahlbare Wohnung suchen. Dieses Problem hat der 16 Jahre lang amtierende grüne OB Dieter Salomon völlig unterschätzt. Ein schlimmer politischer Fehler, verbunden mit seinem persönlichen von manch einem als überheblich wahrgenommenen Stil hat den Erfolgsverwöhnten hart, sehr hart auf den Boden der Wirklichkeit fallen lassen.“

Südwest-Presse:

„Es ist die Tatsache, dass Salomon das, was gerade von einem grünen OB erwartet wird, offensichtlich aus den Augen verloren hat: bei den Menschen zu sein, mit ihnen zu sprechen und ihnen zuzuhören. Dafür hat er am Sonntag die Quittung bekommen. Die Freiburger wollten einen Wechsel. Den bekommen sie. Martin Horn ist zu wünschen, dass er es besser macht.“

Süddeutsche Zeitung:

„Letztlich war es wohl vor allem eine Anti-Establishment-Wahl, dagegen ist nichts einzuwenden. Demokratischer Wechsel ist ein Wert an sich. Für das Modell einer ökologisch-konservativen grünen Politik ist die Niederlage in Freiburg ein schwerer Schlag.“

Die Zeit:

„Der Wahlausgang hat symbolische Bedeutung über die kommunale Ebene hinaus und gilt als schlechtes Zeichen für die im Land zusammen mit der CDU regierenden Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.“

Focus-Online:

„Zu konservativ, nah an der CDU und arrogant sei Salomon gewesen, hieß es in ersten Analysen. Die Südwest-Grünen sprachen davon, dass die Wechselstimmung in Freiburg unterschätzt worden sei. Dass die selbst ernannte Öko-Hauptstadt Deutschlands in vielen Punkten links tickt, zeigte nicht nur Horns Erfolg mit sozialen Wahlkampfthemen. (…)

Die nächsten acht Jahre im Rathaus gehören nun dem parteilosen Horn, einem politischen Newcomer. Er hat in nicht einmal vier Monaten Wahlkampf in der badischen Universitätsstadt eine Wechselstimmung entfacht. Amtsinhaber Salomon, der sich von Beginn an als Favorit sah, konnte dem nichts entgegensetzen. „Die Welle des Wechsels war nicht mehr zu brechen“, sagt der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith.“

(Teilweise entnommen aus der Presseschau, die Fabian Vögtle in der BZ zusammengestellt hat.)