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„Betretungsverbot“ wegen Corona-Virus ab Samstag für 14 Tage

Die Stadt Freiburg hat nun eine „Allgemeinverfügung über ein Betretungsverbot für öffentliche Orte zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2“ erlassen mit folgender Formulierung zu Beginn: „Das Betreten öffentlicher Orte ist untersagt. Zu den öffentlichen Orten zählen insbesondere Straßen, Wege, Gehwege, Plätze, öffentliche Grünflächen und Parkanlagen.“ Auch wenn das noch keine „Ausgangssperre“ ist, so ist dies eine Stufe kurz davor.

Das sogenannte „Betretungsverbot“ soll zwei Wochen gelten:
von Samstag, 21. März bis zum Samstag,
4. April
.

Als Begründung wird unter anderem angeführt: „Nach derzeitiger Lage steigen die Infektionszahlen massiv und in exponentieller Weise an. Dabei ist nicht nur die Situation in Freiburg und Südbaden, sondern es sind auch die dramatischen Entwicklungen in der benachbarten französischen Region Grand-Est zu berücksichtigen: In Freiburg-Stadt stieg die Zahl (Stand 19.03.2020, 07.00 Uhr) auf 126 infizierte Personen. Hinzu kommen im benachbarten Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald weitere 121 Personen.“ Das heißt, dass die Region Freiburg mit großem Abstand die höchste Anzahl an infizierten Personen im Regierungsbezirk aufweist.

OB Martin Horn nennt in seiner Begründung auch die Sorglosigkeit vieler Menschen, die sich nach wie vor versammeln: „In Freiburg sind trotz der Maßnahmen der Verordnung der Landesregierung zahlreiche Menschen im Stadtgebiet rege unterwegs. Wenngleich die bisher getroffenen Maßnahmen zu spürbaren Veränderungen im öffentlichen Leben und damit zu einer Reduzierung von sozialen Kontakten geführt haben, erscheint nach wie vor die Sensibilität und das entsprechende Handeln in Teilen der Bevölkerung nicht angemessen ausgeprägt.“

Man kann nur an alle appellieren – wie schon die Bundeskanzlerin, alle Verantwortlichen und Virologen es getan haben: Halten Sie sich an die Regeln und befolgen Sie die Empfehlungen.

Viel Betrieb auf den Straßen: Hier vor dem Rotteckhaus (ehem. Verkehrsamt) am Rotteckring (Foto: M. Managò)



Die Haselmaus auf dem Dietenbach-Gelände?

Unter der Überschrift „Dietenbach – Vorkommen der
Tierart ‚Haselmaus‘ auf dem Projektgelände“ hat FL-Stadtrat Dr. Wolf-Dieter
Winkler am 10. März 2020 folgende Anfrage (nach § 24 Abs. 4 GemO zu Sachthemen
außerhalb von Sitzungen) gestellt:

Sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister,

es gibt immer
wieder kritische Fragen aus der Freiburger Bevölkerung zu dem Projekt des neuen
Stadtteils Dietenbach. Offensichtlich haben sich viele Menschen mittels der
öffentlich zugänglichen Drucksachen, wie z.B. der Strategischen Umweltprüfung
(SUP), sachkundig gemacht.

In diesem
Zusammenhang wurde ich wiederholt angefragt, warum ein Gutachten, das sich u.a.
mit dem Vorkommen auf dem Projektgelände der nach FFH-Richtlinien streng
geschützten Art „Haselmaus“ beschäftigt, noch nicht veröffentlicht wurde.

Deshalb
richte ich an Sie diese beiden Fragen:
1.) Liegt der Verwaltung ein solches Gutachten vor?
2.) Falls ja, welches ist der Grund dafür, dass es bisher nicht veröffentlicht
wurde?

Ohne zum Inhalt irgendwelche Angaben zu machen folgte
darauf ungewöhnlich schnell, nämlich bereits drei Tage später, am 13.03.2020,
die folgende Antwort:

Sehr geehrter
Herr Stadtrat Dr. Winkler,

vielen Dank
für Ihr Schreiben vom 10.03.20, das Herr Oberbürgermeister Horn zur
Beantwortung an mich weiter geleitet hat. Ihre Fragen, warum ein Gutachten, das
sich u.a. mit dem Vorkommen auf dem Projektgelände der nach FFH-Richtlinien
streng geschützten Art „Haselmaus“ beschäftigt, noch nicht veröffentlicht
wurde, können wir wie folgt beantworten:

1. Liegt der
Verwaltung ein solches Gutachten vor?

Es liegt ein
Gutachten über das Vorkommen der Haselmaus im Gebiet Dietenbach vor. Das
Gutachten wurde vom Büro FrInaT erstellt und ist vom 18.12.2018.

2. Falls ja,
welches ist der Grund dafür, dass es bisher nicht veröffentlicht wurde?

Veröffentlicht
wurde es bisher nicht, da seit seiner Erstellung kein Projekt aus dem
Dietenbachzusammenhang in einen formellen Offenlageschritt gegangen ist (zum
SEMBeschluss und zur SUP lag das Gutachten noch nicht vor). Dies wird erst im
Rahmen der als nächstes anstehenden formellen Verfahren zum Gewässerausbaus und
zum Erdaushubzwischenlager der Fall sein. Eine allgemeine „aktive“
Informationspflicht über das Vorhandensein von Umweltgutachten losgelöst von
formellen Beteiligungsschritten gibt es nicht. In das Gutachten kann bei
Bedarf, nach Terminvereinbarung, bei der PG Dietenbach Einsicht genommen
werden.

Mit
freundlichen Grüßen

Gez.: Prof.
Dr. Martin Haag
Bürgermeister

Warum kann das Ergebnis nicht gleich mitgeteilt werden? Warum diese Geheimniskrämerei? Nach dieser Antwort von Baubürgermeister M. Haag auf die Anfrage von Stadtrat W.-D. Winkler kann man sich nur fragen, warum so intransparent gehandelt wird indem man sich auf die nur rechtlich vorgeschriebenen Notwendigkeiten zurückzieht. Welche Gründe mag es dafür geben? Hat das Gutachten womöglich doch das Vorhandensein der geschützten Haselmaus festgestellt? Und nun hat man Angst, dass die kleine Haselmaus auch den neuen Mega-Stadtteil verhindert, wie das im Jahr 2015 schon bei dem geplanten Staudamm in Günterstal geschah?

Fragen, die der Baubürgermeister bisher nicht beantworten möchte. Er bietet nur an, dass in „das Gutachten bei Bedarf, nach Terminvereinbarung, bei der PG Dietenbach Einsicht genommen werden kann.“ Ein Angebot, das angesichts der Schließung der meisten Ämter wegen des Corona-Virus im Moment ohnehin nicht wahrgenommen werden kann.

Siehe dazu: https://freiburg-lebenswert.de/die-kleine-haselmaus-verhindert-monsterdamm/

Luftbild des Dietenbach-Gelände (Foto: W.-D. Winkler). Hier soll auf den letzten landwirtschaftlichen Flächen Freiburgs der Mega-Stadtteil Dietenbach entstehen.

Foto der Haselmaus: Bjoern Schulz, de.wikipedia (bei Namensnennung zur Veröffenzlichung frei gegeben).




Abriss und Neubau schadet dem Klima

In der NDR-Sendung „DAS!“ plädiert der Architekt und
Autor Daniel Fuhrhop zusammen mit der Hamburger Denkmalschützerin Kristina
Sassenschscheidt dafür, beim Thema Abriss und Neubau die Klimabilanz, in den
Blick zu nehmen. Die sogenannte „graue Energie“ wird regelmäßig nicht beachtet
und nicht berechnet, wenn es um den Abriss von Gebäuden geht, um Platz für
Neubauten zu schaffen. Würde man das tun, müsste man genauso wie beim Fahren
Benzinfressender Autos „Bauscham“ empfinden, statt Stolz auf den Neubau großer
Häuserblocks zu empfinden, so Daniel Fuhrhop. Denn der Verbrauch an Energie und
CO2 ist beim Neubau enorm hoch.

Siehe dazu aus der Sendung: DAS! vom 09.03.2020, Länge: 3 Min., verfügbar bis 09.06.2020: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/das/Schadet-der-Bauboom-dem-Klima,dasx21128.html?fbclid=IwAR254MNLOFT0HHrdMYBsXBXXG78ypvUPUOhrPoLh7jUyudXbDpjLr2tqChU

Daniel Fuhrhop, der Autor des Buches „Verbietet das Bauen“, das bald in einer zweiten, erweiterten und überarbeiteten Neuauflage erscheinen wird, beschreibt die Klimasünde Neubau wie folgt: „Zwar kann man vermeintliche „Energiesparhäuser“ bauen, doch sollte man sich von dieser Bezeichnung nicht verwirren lassen: Energiesparhäuser sparen keine Energie, sie verbrauchen nur weniger Betriebsenergie (vor allem Heizenergie) als andere Häuser. In einer ganzheitlichen Lebenszyklusanalyse ergibt sich daraus aber, dass der größte Energieaufwand und die größte Treibhausgasemission durch das Bauen selbst entsteht, durch die Erstellung von Gebäuden. Darum gilt: Massiver Neubau ist massive Klimazerstörung!“

Siehe: http://www.verbietet-das-bauen.de/bauscham-klimaschutzgesetze-bauwut/?fbclid=IwAR0mgFKjKSI7knrS_X6StCfpzbZtxB-bNvvaYpYnObzU7_ldCJWyYfP4UY8

Auch der Bund Deutscher Architekten (BDA) hat ein
radikales Umdenken beim Bauen gefordert und plädiert für eine
„Gesamtbetrachtung von Bauten und Gebäudegruppen über ihren gesamten
Lebenszyklus“. So spricht der Präsident des BDA, Heiner Farwick, ganz deutlich
aus, was Freiburg Lebenswert (FL) schon immer betont hat: „Dass die
Wachstumsfixierung der Wirtschaft und das Mantra ‚Bauen, Bauen, Bauen‘
angesichts der Notwendigkeit des Klimaschutzes keine Zukunft mehr haben
können.“

Siehe dazu: „Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen!“
und: Bauen im Bestand ist wichtiger als Neubau

Der Klimaschutz ist zu einer Frage des Überlebens geworden! (Foto: Pixabay)



„Die normalen Leute gibt es nicht mehr“

Sehr interessant ist ein Interview, das der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Eric Gujer, mit dem Soziologen und Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz, Professor an der Universität in Frankfurt an der Oder, geführt hat. Er spricht dort über den „Paradigmenwechsel“ in den westlichen Gesellschaften und über die „breite Auffächerung der gesellschaftlichen Gruppen“.

Aber er betont auch die Gefahren, die damit verbunden sind und „teilweise in populistische Revolten münden“. Es gebe kein Zentrum der Gesellschaft mehr, nur noch „verschiedene Lebensstile, die in Konkurrenz zueinander stehen“ würden. Wut und Aggressivität würden sich ausbreiten. Viele hätten den Eindruck, sie gehörten zu den Verlierern.

Dabei gehe es aber nicht nur um die ungleiche
Aufteilung von Einkommen und Vermögen. Es handle sich sowohl um ökonomische, als
auch um kulturelle Faktoren. So habe z.B. die ländliche Bevölkerung ein ganz
anderes Verhältnis zu Benzinpreiserhöhungen oder zum Auto, auf das sie
angewiesen sei, als die intellektuelle Bevölkerung und Grünen-Wählerschaft der
Metropolen, die mit der U-Bahn fahren kann und sich (überspitzt formuliert) Klimaschutzdiskussionen
leisten kann. Aber auch „die normalen Leute“, wie wir sie früher kannten und
die früher den weitaus größten Teil der Bevölkerung ausgemacht hätten, gäbe es
heute nicht mehr.

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang ein
Aspekt, den er betont: der Trend in teure Boom-Städte auf der einen Seite und
die Entvölkerung der ländlichen, kleinstädtischen Regionen auf der anderen. Tatsächlich
leben wir ja – gerade in Freiburg – in einer solchen „Boom-Stadt“ auf Kosten
anderer, ländlicher, östlicher Regionen. Wir fördern den Zuzug von dort sogar noch
mit neuen Stadtteilen, statt die Regionen dort zu fördern. So warnt Reckwitz (ab
der 22. Minute des insgesamt 49 Minuten langen Interviews):

Ein wesentlicher Faktor der empfunden Krisenstimmung in
der Mittelschicht sei „der Run in die
Metropolen, das ökonomische Boomen der Metropolregionen, die attraktiv
erscheinen. Das bedeutet aber, dass die ländlichen Regionen, in denen ja viele
Menschen der traditionellen Mittelklasse leben, sich teilweise entvölkern und
ökonomisch schwächer werden. Das ist natürlich eine Form der Entwertung und
Deklassierung, die stattfindet. Das ist auch ein wichtiger Teil dieser
Krisenstimmung, auch der Wut und Aggressivität, die stattfindet.“

Sieh hier das Interview der NZZ: https://www.nzz.ch/video/nzz-standpunkte/die-krise-des-liberalismus-und-die-neuerfindung-der-freiheit-ld.1543768?mktcid=smch&mktcval=fbpost_2020-03-09&fbclid=IwAR1eo8X_-Nn55BLrhT3rLPS1dTy1FcCCmWe6arh3xQ-4PrQ2gD5VVBTTil4

Andreas Reckwitz ist auch Autor des derzeit auf den Bestsellerlisten stehenden Buches „Das Ende der Illusionen“. Darin spricht er auch vom Ende der Links-Rechts-Differenzen in der heutigen Zeit. Heute, in der „post-industriellen“ Gesellschaft, seien viel mehr Faktoren am Werk, als dies in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts noch der Fall gewesen sei.




Stadtplanung für die Postwachstums-Gesellschaft

Auf ein sehr interessantes Buch mit dem Titel „Postwachstumsstadt, Konturen einer
solidarischen Stadtpolitik
“, das in diesen Tagen erscheint, möchten wir an
dieser Stelle hinweisen und es empfehlen. Das Buch enthält eine große Zahl an
Beiträgen aus den verschiedensten wissenschaftlichen Fachgebieten. Experten
beschreiben, was die behandelten Begriffe beinhalten oder in welchen Städten es
Beispiele bei der Umsetzung gibt. Die Verlagsankündigung zu dem Buch beschreibt
die Intention dieser neuen Bewegung:

„Städte ohne
Wachstum – eine bislang kaum vorstellbare Vision. Doch Klimawandel,
Ressourcenverschwendung, wachsende soziale Ungleichheiten und viele andere
Zukunftsgefahren stellen das bisherige Allheilmittel Wachstum grundsätzlich
infrage. Wie wollen wir heute und morgen zusammenleben? Wie gestalten wir ein
gutes Leben für alle in der Stadt? Während in einzelnen Nischen diese Fragen
bereits ansatzweise beantwortet werden, fehlt es noch immer an umfassenden
Entwürfen und Transformationsansätzen, die eine fundamental andere,
solidarische Stadt konturieren. Diesen Versuch wagt das Projekt Postwachstumsstadt.

Empfehlenswerte Lektüre für eine Stadtplanung in der Postwachstumsgesellschaft (Buchtitel: Oekom Verlag)

In diesem
Buch werden konzeptionelle und pragmatische Aspekte aus verschiedenen Bereichen
der Stadtpolitik zusammengebracht, die neue Pfade aufzeigen und verknüpfen. Die
Beiträge diskutieren städtische Wachstumskrisen, transformative Planung und
Konflikte um Gestaltungsmacht. Nicht zuletzt wird dabei auch die Frage nach der
Rolle von Stadtutopien neu gestellt. Dadurch soll eine längst fällige Debatte
darüber angestoßen werden, wie sich notwendige städtische Wenden durch eine
sozialökologische Neuorientierung vor Ort verwirklichen lassen.“

Schon die beiden Herausgeber repräsentieren die inhaltliche
Bandbreite des Buches: So ist Anton Brokow-Loga transdisziplinärer Forscher an
der Schnittstelle von Urbanistik, Politikwissenschaft und
Transformationsforschung und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur
für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar
und Teil des I.L.A.-Kollektivs. Frank Eckardt hat an der Universität Kassel in
Politikwissenschaften promoviert und hat seit 2008 die Professur für Sozialwissenschaftliche
Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar inne.

Ein „Manifest“ fasst die wesentlichen Ideen in der Einleitung des Buches zusammen. Siehe dazu: www.postwachstumsstadt.de.

Zwei Beispiele seien hier erwähnt: „Städtisches Leben ist geprägt von sozialen und ökologischen Konflikten! Die Stadt, die immer weiter wachsen und mehr produzieren muss, ist am Ende. Auf Dauer sind ausbeuterische Märkte und Flächenfraß nicht nachhaltig für die Entwicklung von Städten. »Höher, schneller, weiter« funktioniert nicht mehr – wir sehen, dass Wachstum als unumstößliches Prinzip Natur- und Lebensräume zerstört.“

Und ein weiterer wichtiger Aspekt lautet: „Das Konzept der Postwachstumsstadt überwindet den Gegensatz von ‚bottom up‘ (engl. von unten nach oben) oder ‚top-down‘ (engl. von oben nach unten). Stattdessen geht es um die Wechselwirkungen zwischen den verschiedensten Gruppen und Akteur*innen, egal ob sie im Parlament sitzen, ein Unternehmen führen, zur Schule gehen oder Kinder großziehen. Städtische Institutionen sind nicht naturgegeben, sondern gemacht – wir verstehen sie als ‚geronnene Praxis‘. Die Postwachstumsstadt setzt auf Demokratisierung und neue Formen der politischen Organisation und Vertretung.“

Begriffe wie „Manifest“ oder „solidarische Stadt“ mögen an linke Ideologien erinnern. Eine solche Einordnung greift aber zu kurz. Denn die Idee der „Postwachstumsstadt“ möchte diese Klassifizierungen aus vergangenen Zeiten gerade überwinden. Dies zeigt auch die Situation in Freiburg: Hier setzten und setzen sich grüne und linke Fraktionen besonders vehement für Dietenbach und ungebremstes Wachstum ein. Im Grunde haben sie damit ihre eigenen Ziele verraten: die ökologische Verantwortung und die Ausrechterhaltung der Solidarität innerhalb der Stadtgesellschaft. Dies zeigen das Buch und die Idee der „Postwachstumsstadt“ sehr deutlich. Es ist für Freiburger Leser deshalb besonders empfehlenswert.

Siehe: https://www.oekom.de/buch/postwachstumsstadt-9783962381998

Und: www.postwachstumsstadt.de

Der Bauwahn in Freiburg verdeckt bald das Münster. Teurer Neubau schafft aber meist keinen bezahlbaren Wohnraum. (Foto: U. Glaubitz)



Verkaufsoffener Sonntag als Ausnahme

In der Sitzung des Gemeinderats am 3. März 2020 wurde auch das Thema verkaufsoffener Sonntag (Drucksache G-20/047) behandelt. Dazu hat Stadtrat Dr. Wolf-Dieter Winkler (FL) die folgende Rede gehalten. Er ist dabei vor allem auf die Historie der Sonntagsruhe eingegangen. Da aber auch die kritischen kirchlichen und gewerkschaftlichen Institutionen eine einmalige Ausnahme akzeptieren wollten, hat auch er für die einmalige Ausnahme eines verkaufsoffenen Sonntags im Rahmen des 900. Jubiläumsjahres der Stadt gestimmt. Siehe hier seine Rede im Wortlaut:

Sehr
geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren!

Schon im
vorchristlichen babylonischen Reich gab es eine Sieben-Tage-Woche als ungefähre
Vierteilung eines Monats. Spätestens im Judentum war dann einer dieser sieben Tage
ein Ruhetag für die Menschen. Die Siebentagewoche mit einem Ruhetag wurde dann
auch vom Christentum übernommen.
Im Jahre 321 erklärte der
römische Kaiser Konstantin den „dies
solis“, den Sonntag, zum verpflichtenden Feiertag. Schon damals galt
aber, dass dringende landwirtschaftliche Arbeit auch am Sonntag erledigt werden
darf.

Die Weimarer Reichsverfassung legte 1919 in Art. 139 fest: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Nach Art. 140 des Grundgesetzes von 1949 ist der Artikel der Weimarer Verfassung nun auch Bestandteil unseres Grundgesetzes.

Stadtrat Dr. Wolf-Dieter Winkler (FL)

Aber auch heute gilt: Der Betrieb von Maschinen und Anlagen, deren Abschaltung für einzelne Tage nicht möglich ist, dringende landwirtschaftliche Arbeit sowie die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung von Sicherheit und von Versorgung in den Bereichen Wasser und Energie, Gastronomie, Gesundheitswesen usw. begründen Sonntagsarbeit – entgegen den Glaubensregeln – gerade unter sozialen und humanitären Aspekten. Daher lassen Arbeitsgesetze für den Sonntag entgegen der Sonntagsruhe entsprechende Ausnahmen zu.

Gerade nicht
zu diesen Ausnahmen gehört allerdings die Öffnung von Geschäften, damit die
Menschen an allen Tagen der Woche ihren Kaufbedürfnissen nachgehen können.

Nach dem Noch-Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, bleibt der Sonntag als „großes Kulturgut“ zu schützen. Auch nach dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sollte man den Sonntag bei der Gestaltung des Lebens nicht immer mehr der „Wirtschaft unterordnen“.

Seit
vielen Jahrhunderten ist also eine Siebentagewoche mit einem Ruhetag in unserer
Gesellschaft etabliert. Diese Errungenschaft sollten wir nicht leichtfertig
auf´s Spiel setzen. Dennoch kann ich die Argumentation der Einzelhändler in der
Stadt nachvollziehen, dass ein einziger Ausnahme-Sonntag im 900. Jubiläumsjahr
der Stadt eine einmalige Bereicherung sein kann – zumal dafür auf einen
Mega-Samstag verzichtet werden soll.

Da auch
die kritischen kirchlichen und gewerkschaftlichen Institutionen eine einmalige
Ausnahme akzeptieren wollen, werde auch ich einer einmaligen Ausnahme zu einem
verkaufsoffenen Sonntag zustimmen.




Rede zu drei Straßenumbenennungen

In der Sitzung des Gemeinderats am 3. März 2020 wurde auch das Thema Straßenumbenennung (Drucksachen G-19/066, G-19/067, G-19/068) behandelt. In diesem Fall handelte es sich um die Umbenennung von drei Straßen, die derzeit noch nach Hindenburg, Heidegger und Ludwig Aschoff benannt sind. Dazu hat Stadtrat Dr. Wolf-Dieter Winkler (FL) die folgende Rede gehalten, in der er seine persönliche Ansicht zu dem Thema widergibt:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr
geehrte Damen und Herren!

Ich
möchte mal einen Blick in die Zukunft werfen und das mit den Umbenennungen weiter
fortspinnen: In 10 Jahren könnten aufgrund des Klimawandels die ersten
Küstenstädte im Meer versinken. Daraufhin werden künftige Generationen die
Politiker, die vor allem in den 1960er – 1970er Jahren die Städte autogerecht gestalteten,
indem sie große Teile der im Krieg noch unversehrten Altstädte nachträglich zerstörten,
zu Unpersonen erklären. Denn der mit fossilen Brennstoffen ermöglichte motorisierte
Verkehr wird als einer der Hauptgründe des Klimawandels gelten. Das wird dann –
unter vielen anderen – auch den ehemaligen ADAC-Vorsitzenden für
Nordbaden
und Freiburger Oberbürgermeister von
1962 – 1982, Eugen Keidel, treffen,

unter dessen Amtszeit die Ringstraßen um Freiburgs Altstadt gezogen wurden. Dem
Bau dieser Ringstraßen fielen große Grünflächen des Stadtgartens und des
Schlossbergs, sowie viele, auch denkmalgeschützte Bauten – vor allem im Bereich
des Schwabentors – zum Opfer. Man wird ihm, wie dem Medizinprofessor Paul Uhlenhuth,
die Ehrenbürgerwürde Freiburgs aberkennen und das Eugen-Keidel-Bad und den
Eugen-Keidel-Turm umbenennen. Übrigens war Eugen Keidel – im Gegensatz zu Paul Uhlenhuth
und auch zu Ludwig Aschoff – ab 1937 Mitglied der NSDAP, also zu einem
Zeitpunkt, als es für die deutschen Juden schon spürbar ungemütlich wurde.

Schauen
wir noch weiter in die Zukunft: In 20 Jahren sind die großen Kirchen durch die
zunehmende Entfremdung der Menschen von der Institution Kirche und auch von
Gott weitgehend marginalisiert. Ihre Mitgliederzahlen liegen im einstelligen
Prozentbereich. Sie haben im Gemeinderat keine nennenswerte
Interessenvertretung mehr. Nun wird man sich daran erinnern, dass die
katholische Kirche maßgeblich an der Kolonialisierung und damit Unterdrückung
von Völkern auf anderen Kontinenten mitgewirkt hat, verantwortlich für die
Hexenverbrennungen war und die Missbrauchsskandale nur widerstrebend
aufgearbeitet hat. Und plötzlich sieht man auch Martin Luther mit seinen
judenfeindlichen Äußerungen in einem ganz anderen Licht. Nun werden alle Namen
im Kontext mit den Kirchen auf den Index gesetzt und aus dem öffentlichen
Bewusstsein gestrichen.

Meine
Damen und Herren, was ich mit dieser zugegeben etwas überspitzt formulierten
Prognose sagen will: Diese ganze ständige Umbenennerei ist ein Vorgang ohne
absehbares Ende. Sie ist zeitraubend, bringt uns Stadträten und den betroffenen
Anwohnern enormen Ärger ein und kostet den Steuerzahler zudem viel Geld.

In
Frankreich amüsiert man sich köstlich, dass wir in Freiburg zwei Kriegsherren
von Ludwig dem Vierzehnten ehren, indem wir eine Schule, – nochmal: eine Schule!
-, das Lycée Turenne, und einen Stadtteil, das Vauban, nach ihnen benannt
haben. Ich erinnere daran, dass Ludwig der Vierzehnte Vauban anwies, die
Stadt Freiburg zu einer modernen Festung auszubauen. Um ein freies Schussfeld
zu gewinnen, ließ Vauban alles um Freiburg, was von den Dörfern und Vorstädten
in den Kämpfen des Dreißigjährigen Krieges übrig geblieben war, im Jahr 1680
einebnen. Die ganze Neuburg im Norden von Freiburgs Altstadt wurde platt
gemacht. Er stürzte damit unzählige Familien durch die damit einhergehende
Obdachlosigkeit in Not, Elend und Verzweiflung. Und einem solchen Mann, einem
Franzosen, erweisen wir die Ehre durch Benennung eines ganzen Stadtteils,
während wir gleichzeitig den deutschen Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten
Hindenburg aus dem Straßenraum verbannen? Wie schizophren ist das denn?

Meine
Damen und Herren, Straßennamen sind Abbilder ihrer Zeit. Wir können doch unsere
Geschichte nicht dadurch ungeschehen machen, indem wir die uns aus heutiger
Sicht – mit dem Wissen der Nachgeborenen, wohlgemerkt! – unangenehm
erscheinenden Personen aus dem Straßenraum tilgen. Und ich rede jetzt von
Personen, die sich gleichzeitig auch für die Menschheit oder zumindest für ihr
Vaterland verdient gemacht haben, auch wenn wir mit dem Begriff Vaterland heute
nicht mehr viel anfangen können. Ihre für uns negativen Seiten können wir immer
noch mit einem Zusatzschild zum Straßenschild kundtun. Wir sollten diese
Dauerschleife der Umbenennungen beenden. Ich jedenfalls werde gegen die drei
Umbenennungen stimmen!