Für die Fraktionsgemeinschaft FL/FF hat Stadtrat Prof. Dr. Klaus-Dieter Rückauer (FF) am 21. Mai 2019 im Gemeinderat zum Thema „Situation intersexueller Menschen in Freiburg“ (Drucksache G-19/075) folgende Rede gehalten. Sehr gerne dokumentieren wir an dieser Stelle auch die Rede des Fraktionskollegen Prof. Rückauer, auch wenn er nicht Mitglied bei Freiburg Lebenswert (FL) ist, sondern die Liste Für Freiburg (FF) als Spitzenkandidat anführt:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeisterin,
sehr geehrte Damen und Daminnen,
wir haben jetzt sehr ausführlich von der
Notwendigkeit und dem hohen Rang der Maßnahmen zur Förderung
geschlechtsspezifischer Besonderheiten gehört. Erlauben Sie mir dazu einige
kritische, sachlich begründete Anmerkungen.
In dem interfraktionellen Antrag vom 6. November 2018 steht mehrfach das Wort: Stadträt_*Innen. Unterstrich plus Gender-Sternchen plus innen-I; mehr Gender geht irgendwie gar nicht, ein echter Superlativ. Wie sehr müssen diese Stadträt_*Innen doch auf der Höhe der Zeit sein.
Das Bundesverfassungsgericht hat am
10. Oktober 2017 gefordert, dass vom
Gesetzgeber ein drittes Geschlecht für den Eintrag im Geburtenregister ermöglicht
werden muss.
Eine Frage im Antrag lautet, wie die Diskussion um
Intersexualität und die gesetzlich vorgeschriebene neue
Geschlechtsbezeichnung in den Kitas und
den Schulen geführt werden kann. Meine Frage wäre, wie jemand eigentlich auf
die verrückte Idee kommen kann, in Kitas, d.h. mit Kindern von zwei oder drei
Jahren, über ein Thema wie Intersexualität zu reden.
Kernanliegen der Leitperspektive „Bildung für
Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ im Bildungsplan 2016 ist es, „…Respekt sowie die gegenseitige Achtung und Wertschätzung von Verschiedenheit zu
fördern. Grundlagen sind die Menschenwürde, das christliche Menschenbild (sic!)
sowie die staatliche Verfassung mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie.“
Das ist absolut
richtig.
Eine weitere Frage: „Wie können Kinder und Jugendliche mit diesem für sie sensiblen Thema
vertraut gemacht werden, so dass eine Auseinandersetzung mit der eigenen
Geschlechtsrolle gelingen kann?“
In ihrer Antwort verweist die Verwaltung auf
zahlreiche Institutionen oder Gruppen mit sexualpädagogischen Angeboten an
Schulen und in der Jugendarbeit. Explizit hervorzuheben sei FLUSS e. V. –
Verein für Bildungsarbeit zu Geschlecht und sexueller Orientierung. Dieser
Verein ist in der Tat explizit hervorzuheben: er betreibt gezielte Lobby-Arbeit
mit Kindern unter Ausschluss des regulären Lehrpersonals. Das bedeutet:
Schulfremde Interessengruppen belehren Jugendliche über höchst sensible und
persönliche Fragen ohne Teilnahme eines verantwortlichen Erwachsenen.
Eine Forderung im Antrag lautet: „Wir regen einen Runden Tisch bei der
Geschäftsstelle Gender und Diversity mit allen LGBTTIQ-Vertreter_*Innen an.“ Und wo bleiben Vertreter aus den anderen Gruppen
der Gesellschaft? Betreffen diese Fragen nur LGBTTIQ-Aktivisten? Gibt es im
Zusammenhang mit der Sexualerziehung von jungen Menschen vielleicht noch andere
Aspekte zu bedenken?
Die Forderung: „Damit einhergehend ist
die intensivere Öffentlichkeitsarbeit, um die Sichtbarkeit des Wirkens und der
Angebote von und für LSBTTIQ in die Mitte der Gesellschaft zu rücken“ steht in krassem Widerspruch zur Aussage der
Verwaltung: „Aus dem Kreis der teilnehmenden Beratungsstellen wurde
bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Bedarf im Hinblick auf das Thema LSBTTIQ
genannt.“
Frage im Antrag: „Welche Form der
Schriftsprache wird künftig verwandt, um auf die verschiedenen Geschlechter
aufmerksam zu machen?“
Schreiben Dezernat I vom 13.12.2017: „Von Seiten der Geschäftsstelle Gender
Mainstreaming wird unter Bezugnahme auf die evaluierte Broschüre „Gender und
Diversity in Wort und Bild“ die Verwendung der Schreibweise mit dem Unterstrich
„_“ zwischen der männlichen und weiblichen Form, z.B.: Mitarbeiter_innen,
Bürger_innen empfohlen. Die Verwendung dieser geschlechtergerechten Sprache
gilt hiermit verbindlich für alle Dezernate, Ämter, Dienststellen und
Eigenbetriebe. Abweichungen sind nicht zugelassen.“
Die Geschäftsstelle Gender & Diversity hat die
Beschäftigten der Stadtverwaltung befragt, wie oft und auf
welche Art und Weise sie geschlechtersensible und antidiskriminierende Sprache
verwenden. Über den Onlinefragebogen bzw. den schriftlichenFragebogensind
insgesamt 374 Antworten eingegangen. Gibt es nicht ca. 4000 Mitarbeiter in
unserer Stadtverwaltung? Wo sind die Antworten all der anderen 3626? Könnte es
sein, dass sie gar nicht die Dimension dieses Problems erkannt haben? Oder
sollten sie das alles für sich womöglich für wenig bedeutend halten?
„Geschlechtersensibel formulieren, bedeutet
auch antidiskriminierend zu wirken. Damit wird Gleichberechtigung mitgedacht
und befördert.“
Man muss sich fragen, ob durch derlei
linguistische Pirouetten in irgendeinem Kopf das Denken verändert wird. Dies
muss unser Bestreben sein: Vorurteile zu überwinden, Einstellungen zu
verändern. Das erfordert andere, tiefer reichende Maßnahmen.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Sprache, um
funktionieren zu können, Regeln unterliegt. Das nennen wir Grammatik. Ein
kurzer Blick in diese Regeln wie auch simples soziologisches Wissen offenbaren,
dass das grammatische Geschlecht, das Genus, mit dem natürlichen Geschlecht,
dem Sexus, wenig gemein hat. Sexus: Das ist jedem klar. Aber Genus? Darüber ist
infolge gezielter gesellschaftlicher Bestrebungen einzelner Interessengruppen
große Verwirrung entstanden. Die Römer bezeichneten mit genus „Familie, Stamm, Gattung, Art, Sorte“. Das deutsche Wort
Geschlecht leitet sich vom althochdeutschen slahta ab, was ebenfalls „Generation, Art Ursprung“ bedeutete.
Indem die Grammatiker des 17. Jahrhunderts die Artikel als „Geschlechtswort“
bezeichneten, wurde die Grammatik sexualisiert, denn ein Terminus technicus der
Linguistik erhielt dadurch in der Alltagssprache eine Zusatzbedeutung.
Diese Zusatzbedeutung ist der Ausgangspunkt des
Streits um das generische Maskulinum. Der mittlerweile bei Vielen in Verruf
geratene Begriff beschreibt die Tatsache, dass maskuline Personenbezeichnungen,
die auf die Silbe -er enden, wie Pfarrer oder Bäcker, nicht sexusmarkiert sind.
Das zeigt sich augenfällig an zahllosen Beispielen: Im Lehrerzimmer trifft sich
Personal beiderlei Geschlechts, der Führerschein gilt für Damen wie für Herren,
und im Pfarrkonvent sind Pfarrerinnen und Pfarrer vertreten, nicht aber
Pfarrersfrauen und Pfarrerinmänner.
Das generische Maskulinum ist der unmarkierte
Genus für Alle. Wir alle, auch Frauen, benützen Wendungen wie: „Wer hat seinen
Lippenstift hier liegen lassen?“ Das wird wohl eher eine Frau gewesen sein,
aber das Fragepronomen lautet dennoch „wer“. So erklären sich die Verse von
Bertold Brecht in seinem Gedicht „Beuteltier mit Weinkrampf“: „Denn jetzt ist
der Uterus erschlafft / und man weint nach seiner Jungfernschaft“ – seiner
Jungfernschaft, obwohl es die Jungfernschaft heißt.
Auch Wörter wie deswegen oder indessen beruhen auf
maskulinen Formen. Das Maskulinum ist in solchen Fällen sexusneutral, es
bezeichnet alle Sexus. Wie falsch es ist, aus dem grammatischen Geschlecht den
Sexus abzuleiten, ist an einer Vielzahl von Metaphern ersichtlich, die ein
bestimmtes Pronomen führen, aber dennoch für alle Geschlechter Anwendung
finden: Frohnatur, Landplage, Knallcharge sind feminin; Putzteufel, Plagegeist
oder Wonneproppen sind maskulin; Adlerauge, Klatschmaul und Hinkebein sind
Neutra – aber alle diese Begriffe gelten völlig unabhängig vom Geschlecht. Das
gilt sogar für Wortbildungen, die einen Namen enthalten: Mit der Heulsuse kann
ein Junge und mit einem Zappelphilipp ein Mädchen beschreiben werden.
Deshalb noch einmal, weil es wichtig ist: Das
generische Maskulinum ist der unmarkierte Genus für Alle.
Sprache ist ein Gemeingut. Sie darf nicht durch willkürliche
Eingriffe gegen Regeln verändert werden. Die korrekte Rechtschreibung lässt nur
zu, dass innerhalb eines Wortes Klammern oder Schrägstriche benützt werden. Das
Binnen-I und der Gender-Stern verstoßen gegen diese Regel. Die Macht einer
Stadtverwaltung reicht nicht so weit, solche Prinzipien außer Kraft zu setzen.
Das Verwaltungsverfahrensgesetz legt dies in § 23 zweifelsfrei fest.
Die ursprüngliche Idee, durch Förderung von
Gleichheit mehr Gerechtigkeit zu erwirken, ist ohne Frage anzuerkennen, und
wahrhaftig kein vernünftiger Mensch wird sich dem Bemühen entgegenstellen, dass
die jahrhundertealten Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen wie auch homosexuellen
Menschen endlich überwunden werden. Aber die Verbiegung von Sprache wider jede
gültigen Regeln bewahrt keine einzige Frau, keine Lesbe und keinen Schwulen vor
Unrecht oder Nachteilen.
Das Gender Mainstreaming hat den Charakter einer
säkularen Religion angenommen. Und, leicht erkennbar, wird es
bezeichnenderweise mit genau der ideologischen Engstirnigkeit betrieben, die
von ihren Vertretern den Religionen vorgeworfen wird. Als Beweis dient mühelos
die Wut, welche durch Widerspruch, wie jetzt gerade, ausgelöst wird.
Und noch etwas: Die weit überwiegende Mehrzahl der
Frauen in unserer Gesellschaft verfolgt diese Debatte mit Unverständnis oder
erheiterter Verwunderung. Offenkundig haben sie die hohe Bedeutung dieses Ziels
höchster politischer Korrektheit noch immer nicht begriffen. Wenn das
Kopfschütteln all der Frauen in Deutschland über diese verschrobene Form von
Sprache – und auch über das ihr zugrundeliegenden Denken – seismographisch
dargestellt werden könnte, ergäbe sich ein mittleres Erdbeben.
Durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 10.10.2017 (1BvR 2019/16) wurde offiziell festgelegt, dass für Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann fühlen, amtlich ein drittes Geschlecht eingetragen werden soll. Grundlage war die Schätzung, es gebe etwa 160.000 solche Menschen in Deutschland. Das hat erhebliche praktische Konsequenzen. Nicht nur müssen Millionen von Formularen geändert werden, auch Ausschreibungen für Stellen erfolgen nun inklusive der Angabe „divers“. Gemeinden planen, in Schulen Unisex-Toiletten zu bauen. Künftig gibt es auch kein Rednerpult mehr, sondern ein Redepult (was dieses Pult wohl so reden wird?). Wie kann nun in Obdachlosenunterkünften richtig vorgegangen werden, wo es nur Räume für Frauen und Männer gibt? Welcher Polizist darf einen Menschen mit diversem Geschlecht untersuchen? Wie werden paritätische Gremien paritätisch besetzt?
Die
Sorge um derlei Probleme dürfte jedoch weitgehend theoretischer Natur sein. Das
liegt an einem rein quantitativen Aspekt. Anders als von den Aktivisten
vehement behauptet, ist die Zahl der Menschen, die sich keinem biologischen Geschlecht
zuordnen, um Dimensionen geringer als allgemein angenommen. Es gibt keine
160.000, keine 16.000 und sicher auch keine 1.600 solche Menschen in
Deutschland. Die Suche nach Daten hilft: Die Standesämter, die durch das Urteil
verpflichtet sind, als dritte Kategorie „divers“ zu führen, melden aus den elf
größten deutschen Städten ganze 20 Personen mit diesem Eintrag. Neun davon
leben in Berlin, zwei in München, in der Millionenstadt Köln kein einziger. Die
Berechnungen aus solchen (gleichlautenden) Erhebungen ergeben 150 Fälle – für
ganz Deutschland. Wir sprechen also von einer Quote von 0,002 Prozent der
Bevölkerung.
Die
Gruppe der Erkrankungen, die in der medizinischen Klassifikation unter dem
Begriff DSD (Diseases of sexual Development) zusammengefasst werden, ist sehr
heterogen. Ein erstes Missverständnis besteht in der Annahme des
Bundesverfassungsgerichtes, die auf veraltete Schätzungen zurückgeht; und ganz
wesentlich: an den Vorberatungen des BVG war kein einziger der Ärzte beteiligt,
die als Spezialisten klinisch und wissenschaftlich mit diesen Erkrankungen
befasst sind. Stattdessen wird der Diskurs von Gendertheoretikern und einer
kleinen, aber äußerst engagierten Gruppe von Aktivisten bestimmt. Sie können
nicht für alle Menschen mit einer DSD sprechen; sie sind eine kleine Minderheit
innerhalb einer kleinen Minderheit.
Ein
zweites Missverständnis behauptet, alle Menschen mit einer DSD beanspruchten
für sich die Einstufung als „divers“. Im Gegenteil: Sie ordnen sich fast immer
einem der beiden Geschlechter zu. Die Informationen z.B. der Eltern- und
Patienteninitiativen für das adrenogenitale Syndrom, für das Turner- oder
Klinefelter-Syndrom sind in dieser Hinsicht eindeutig. Typischerweise definiert
sich keiner dieser Jugendlichen als zwischengeschlechtlich.
Zusammenfassend
soll betont werden, dass die Rechte einer Minderheit ohne Frage zu respektieren
sind. Dennoch ist es für die Diskussion des Themas in der Gesellschaft von
erheblicher Bedeutung, ob es die halbe Menschheit betrifft oder eine kleine
Gruppe von einem Promille. Das sollte man im Blick haben, bevor in sämtlichen
Gebäuden die Toiletten umgebaut werden oder Sprache unsprechbar gemacht wird.
Die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen zu respektieren, ist eine
selbstverständliche soziale Verpflichtung, die jedem zukommen muss. Gender
braucht es dazu nicht.